DARMSTADT - Insgesamt steht die deutsche Wirtschaft gut da. Der Export boomt, der Konsum läuft gut, die Arbeitslosigkeit ist gering, die Beschäftigung hoch wie nie. Aber nicht alle partizipieren daran, während es im vergangenen Jahr für die Reichsten im Lande ein Leichtes war, ihr Vermögen zu steigern. Und das trotz Nullzinspolitik der EZB. Immobilien, Ländereien, Unternehmensbeteiligungen machten es möglich. Wir sprachen mit dem Darmstädter Finanz-Professor Dr. Dirk Schiereck über Vermögen, Verteilung und Verpflichtung. Und den Reiz des Themas für Normalbürger.
Warum finden Ranglisten über Reiche so großes Interesse in der Öffentlichkeit?
Große Vermögen sind natürliche ideale Ausgangspunkte für Debatten von Glamour über Neid bis hin zu Analysen der ökonomischen Hintergründe. Und sie sind durchaus auch ein Indikator für die Entwicklung des Gesamtvermögens in einer Volkswirtschaft.
Was halten Sie von den Erhebungsmethoden, die ja teilweise ziemlich schwammig sind?
Die Messung ist sicherlich unpräzise und fehlerbehaftet, aber es kommt ja auch gar nicht auf Präzision an, sondern auf Trends und ungefähre Niveaus von Vermögen. Und dafür reichen die Abschätzungen allemal aus.
Natürlich, und zwar in allen Gesellschaftswissenschaften, angefangen bei der Soziologie und der Elitenforschung bis hin zur Betriebswirtschaftslehre und der Suche nach den „Erfolgsgeheimnissen“.
Was lernen wir aus den märchenhaft wachsenden Vermögen im Hinblick auf Verteilungsgerechtigkeit?
Die Frage nach der Verteilungsgerechtigkeit wird in Westeuropa sicherlich lauter und anders gestellt als in Nordamerika, Asien oder Russland. Aber es gibt kontinent-übergreifend schon die Einsicht, dass Eigentum auch verpflichtet, wenn Sie sich beispielsweise die Aktivitäten der Gates Foundation ansehen. Da stellt sich schon eher die Frage, wem man das Recht zubilligt, die Art der Umverteilung zu wählen. Darf der Vermögende selbst entscheiden, wofür er Teile seines selbst geschaffenen Vermögens einsetzt, oder soll die Umverteilung unter Zwang erfolgen und die so generierten Mittel dann durch ein demokratisch legitimiertes Gremium verwendet werden. Hier gibt es sicherlich sehr unterschiedliche Gerechtigkeitsperspektiven.
ZUR PERSON
Professor Dirk Schiereck, geboren 1962, ist seit 2008 Professor am Lehrstuhl für Unternehmensfinanzierung der TU Darmstadt im Fachbereich Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Schiereck gilt als Finanz- und Bankenfachmann. Der Volkswirt hat an der Universität Mannheim promoviert, sitzt in diversen Gremien und hat eine Reihe von Büchern verfasst. (apd)
Wo liegt der tiefere volkswirtschaftliche Nutzen solcher Kapital-Ansammlungen?
Die wirklich großen Vermögen entstanden stets aus unternehmerischen Aktivitäten; und auch ihre Aufrechterhaltung und Mehrung basiert auf Unternehmertum. Und Unternehmertum ist die Quelle des Wohlstands einer Nation. Sie erhalten kein Vermögen, wenn sie es in Staatsanleihen anlegen, sondern würden es so vernichten.
Heißt, es macht durchaus gesamtwirtschaftlich Sinn, dass es diese Megavermögen gibt?
Das langfristig existierende und wachsende Vermögen ist Ausdruck erfolgreichen Unternehmertums, von dem in unterschiedlichem Umfang alle in einer Volkswirtschaft partizipieren. Und nur wer große finanzielle Ressourcen besitzt und investieren kann, kann und wird auch große Wagnisse eingehen, die Industrien, Märkte und Volkswirtschaften verändern. Schauen Sie sich die Investitionen in die private Raumfahrt an, die von erfolgreichen und schwer reichen Unternehmern in den USA vorangetrieben werden. Oder auf deutlich niedrigerem Niveau die Investoren, die in Fernsehformaten wie der „Höhle der Löwen“ jungen Gründern bei ersten unternehmerischen Schritten helfen und so die unternehmerische Basis der nächsten Generation aufbauen.
Braucht es denn solche Storys, um unser Wirtschaftsmodell zu befeuern und um Anreize zu setzen?
Storys kommen doch überwiegend von Leuten, die nicht durch unternehmerische Leistungen, sondern zufälligen natürlichen Talenten reich wurden wie Sportler und Künstler. Von denen und ihrem Umgang mit Geld lesen wir sehr viel, und die unternehmerischen Fähigkeiten dieser Leute sind häufig nicht besonders stark ausgeprägt. Hier denken vielleicht viele jetzt an Boris Becker. Der rein konsumtive Umgang mit Geld, das Prassen, das Verschwenden, ist sicherlich dazu geeignet, dass viele auch gerne reich werden wollen und sich dafür auch gerne öffentlich zum Affen machen. Aber das hilft einem Wirtschaftssystem nicht weiter. Die sehr reichen Familien in Deutschland liefern ganz überwiegend eben keine Storys, wer kennt denn schon die Familie Reimann oder Erivan Haub? Und ich glaube, dass Familien, die quasi keiner kennt, kaum sichtbare Anreize setzen können.
Trotz eher positiver Einordnung Ihrerseits – liegt hier nicht eher ein gesellschaftlicher Spaltpilz, der kontraproduktiv wirkt und eine ökonomische Parallelwelt generiert?
Wenn das Vermögen aller Deutschen konstant bleibt und nur das Vermögen der sehr Reichen steigt, nimmt bei unserer Armutsdefinition die Zahl der Armen zu, und wahrscheinlich fühlen sich tatsächlich dann mehr Leute arm. Das ist wohl auch ein Grund, warum Vermögen eher öffentlichkeitsscheu ist. Der Spaltpilz findet sicherlich immer dann Nahrung, wenn die großen Vermögen vergessen, dass Eigentum auch verpflichtet und mit hoher Verantwortung verbunden ist. Und hier gibt es bestimmt auch ein zweiseitiges Informationsdefizit, das auch von der Wissenschaft abgebaut werden kann.
Inwiefern?
Zum einen muss in unserer Gesellschaft das Verständnis für das Unternehmertum stark verbessert werden – wir denken viel über die Verteilung des Kuchens nach, aber viel zu wenig darüber, wie der Kuchen so groß wird, dass alle davon profitieren. Das geht nur über Risikobereitschaft und verantwortungsvolles Unternehmertum. Zum anderen muss aber auch die Gruppe der Unternehmer klarer verstehen, dass ihr Erfolg in Deutschland ganz maßgeblich auf der stabilen Grundordnung und dem sozialen und inneren Frieden basiert. Nur wenn auch die starken Schultern der Unternehmer bereit sind, hierzu ihren angemessenen Beitrag zu leisten und andere am unternehmerischen Erfolg partizipieren lassen, behalten sie die Basis, um ihr Vermögen in die nächsten Generationen zu transferieren.