Samstag,
16.04.2016 - 00:00
5 min
Heiße Quellen auf Japans Südinsel Kyushu
Von Angela Böhm

Im Kurort Beppu werden Wellnesskunden in Reih und Glied im dampfenden Vulkansand eingegraben. Foto: Angela Böhm ( Foto: Angela Böhm)
Ihre Füße sind heiß. Im dampfenden, schwarzen Vulkansand buddelt Hiromi von morgens bis abends mit ihrer Hacke Kuhlen, um Menschen in einem baumwollenen Kimono in Reih und Glied einzugraben. Geschickt formen ihre Hände maßgeschneiderte Sarkophage. Nur die Köpfe ihrer Kunden schauen noch heraus. Die schützt Hiromi mit einem kleinen gelben Sonnenschirm.
Schuhe sind für Hiromi bei ihrer Arbeit tabu. Schließlich kommt alles auf ihr Zehenspitzengefühl an. Mit dem misst sie die Temperatur des Sandes, der von einer heißen Quelle erhitzt wird. Je tiefer sie gräbt, je dicker sie die Schicht auf den Körper modelliert, umso heißer wird es. Für jeden muss sie die richtige Temperatur austarieren, damit im sandigen Backofen alle Sinne geweckt werden: 15 Minuten lang Zeit zum Träumen, Meditieren, Atmen, dem eigenen Puls lauschen, um dann wie Phönix aus der Asche aus dem Sandkasten aufzusteigen.
Wie neugeboren sollen sich die Eingegrabenen nach ihrem Sandbad fühlen. Drei Jahre musste Hiromi ihr Handwerk lernen. Zehn Jahre Erfahrung kann sie inzwischen vorweisen. Als Expertin fühlt sie sich noch nicht. „Vielleicht in der Mitte“, schätzt sie ihre Kenntnisse ein. Es ist ein heißer Job mitten in der Hölle. So nennen die Japaner Beppu, die rauchende Stadt am Meer mit ihren kochenden Teichen und dampfenden Erdspalten.
Der berühmte Kurort auf Kyushu, der südlichsten der vier japanischen Hauptinseln, ist eines der heißesten Pflaster der Welt. Hier atmet die Erde an jeder Straßenecke. Sogar aus dem Asphalt dringen weiße Schwaden. In rostigen Rohren versuchen die Einwohner den Dampf aus der Unterwelt zu kanalisieren, bis er mit gewaltigem Druck in den blauen Himmel schießt.
Jigoko heißt auf Japanisch Hölle. Die gibt es in Beppu überall. Jigoku Mushi Kobo ist die Höllenküche. In dieser herrscht dichter Nebel. Die Hand ist nicht vor den Augen zu sehen. Der 100 Grad heiße Dampf aus der Erde wird in gemauerten Öfen gezähmt. Gerüstet mit dicken Gummihandschuhen lässt die Köchin einen Bambuskorb mit Gemüse tief in den Ofen hinab. Der wird mit einem dicken Holzdeckel verriegelt. Seit Jahrhunderten praktizieren die Menschen hier diese Garmethode, bei der nichts vom Geschmack verloren geht. Produziert wird der Dampf von den heißen vulkanischen Quellen. Über 2 500 brodeln in Beppu. Nur im Yellowstone Nationalpark in den USA gibt es mehr.
INFORMATIONEN
Anreise: Einen Direktflug von Frankfurt nach Fukuoka bietet Finnair vom 6. Mai bis 9. Oktober dreimal wöchentlich. Über Helsinki wird die japanische Metropole mit Europa verbunden. Der Flug kostet ab 525 Euro. www.finnair.com.
Kontakt: Japanische Fremdenverkehrszentrale JNTO Frankfurt, Kaiserstr. 11, 60311 Frankfurt, 069-2 03 53, www.jnto.de
Kontakt: Japanische Fremdenverkehrszentrale JNTO Frankfurt, Kaiserstr. 11, 60311 Frankfurt, 069-2 03 53, www.jnto.de
Schon am Eingang des Umi-Jigoko riecht es nach Schwefel. Wer in die kobaltblaue „Meereshölle“ will, wird erst durch einen Souvenirladen geschleust. Dort gibt es für umgerechnet 30 Euro alle Zutaten, um sich das Inferno daheim im Bad selbst anzurühren. Unter grünen Palmen steigen aus dem 200 Meter tiefen blauen Wasser dicke Dampfschwaden in den Himmel. Einen Steinwurf entfernt sprudelt die „Bluthölle“ mit ihrem feuerroten Wasser. Für die Farbe sorgen Mineralien, die der Dampf aus der Erde nach oben drückt. Vulkanische Gase formen den Schlamm in der „Mönchskopf-Hölle“ zu einem kahlen Haupt, bevor die Blase mit einem dumpfen Blubb platzt. Acht Höllen bietet die Stadt auf ihrer Höllentour. Kichernd zeigen Familien fürs Foto das Victory-Zeichen, als wären sie gerade einem Schlund entkommen.
Der präsentiert sich eine gute Stunde Fahrt entfernt am Mount Aso, einem der größten Krater der Welt, dessen Caldera einen Umfang von 128 Kilometern hat. Umgeben ist sie von einer Bergkette aus fünf Vulkan-Gipfeln, die einem liegenden Buddha gleichen. Einer ist noch aktiv, glüht, spuckt, qualmt. Unberührte Zedernwälder und Bambushaine rahmen den fruchtbaren Kessel ein. An einem Bach drängen sich alte Holzhäuschen mit Papierwänden, vor deren Haustür eine kleine Mühle plätschert und innen ein Bad mit einer heißen Quelle dampft. Kurokawa gilt als das romantischste Wellness-Dorf auf Kyushu. Nebenan im feinen Kurort Yufuin streifen junge Japaner in den hoteleigenen Baumwoll-Kimonos von Onsen zu Onsen. So heißen die Thermalbäder, die in Japan Tradition sind.
Sie scheinen das Geheimrezept der Menschen auf Kyushu für ein hohes Alter zu sein: Mit rund 116 Jahren galt Kamato Hongo 2003 als älteste Erdenbürgerin. Als ältester Mann der Welt schaffte es der 114-jährige Yukichi Chuganji ins Guinness-Buch der Rekorde. Weltweit gibt es auf der Insel die geringste Quote von Herzinfarkten und Krebsleiden.
Schon die Samurai nutzten die Magie des heißen Heilwassers. Als solcher fühlt sich manchmal Iri Masahiko. Er betreibt in Fukuoka, der größten Stadt auf Kyushu, ein Yatai, eine Ministraßenküche auf Rädern. Zwei Bänke, vier Hocker drängen sich um den kleinen Tresen mit Herd und Holzofengrill. Seine Gäste stehen jeden Abend Schlange. Aber die Politiker wollen ihn und seine Kollegen loswerden.
In der Rangliste der lebenswertesten Städte der Welt des Lifestyle-Magazins „Monocle“ schaffte es Fukuoka 2015 auf Platz 12 vor Paris, Madrid und Lissabon. Der französische Guide Michelin zeichnete in der Wohlfühl-Metropole mit 1,5 Millionen Einwohnern gleich 43 Restaurants mit Sternen aus. Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt legen im Hafen an der Hakata-Bucht an.
Da soll kein Platz mehr sein für die alten Yatais, aus denen es abends dampft und raucht. Bis in den frühen Morgen sorgen sie mit ihren Spezialitäten fürs leibliche Wohl. Nun kämpft Masahiko wie einst die Samurai ums Überleben. „Wir sind eine Institution und ein Stück Tradition in Fukuoka“, redet er sich in Rage und fuchtelt mit dem Messer, als wäre es ein Schwert.
Seit 25 Jahren grillt er jeden Abend über den glühenden Holzkohlen seine Spieße mit Hühnermägen. Als Vorspeise serviert er hauchdünn geschnittenes Fleisch in Kräutern, Zitrone und Öl. Gebärmutter vom Schwein soll das sein. „Das ist gesund“, versichert er. Für Fremde schmeckt es nach Hölle. Schnell schenkt Masahiko Shochu in ein mit Eis gefülltes Wasserglas. Das ist der japanischen Wodka, der auf Kyushu aus süßen Kartoffeln gebrannt wird: „Kanpai!“, ruft er. Zum Wohl!