MAINZ - Islamistische Radikalisierungstendenzen haben sich längst auch in Rheinland-Pfalz breitgemacht – doch im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands haben sie dort bislang erst relativ geringe Ausmaße angenommen. Das ist zumindest das Fazit, das jetzt Islamismus- und Extremismusexperten bei einer Podiumsdiskussion in der Landeshauptstadt Mainz gezogen haben.
Die internationale islamistische Szene stellt sich prinzipiell als bestens vernetzt dar. Eine „spinnenförmige Verbreitung“ sowie ein hohes Maß an Mobilität, die auch problemlos über Staatsgrenzen hinweg stattfindet, attestierte ihr Susanne Schröter, Leiterin des Forschungszentrums Globaler Islam an der Goethe-Universität Frankfurt. Zwar habe sich auch das Rhein-Main-Gebiet allgemein zu einem Hotspot der Szene entwickelt, dennoch spiele dessen Teil links des Rheins kaum eine Rolle für Islamisten.
In Sachen Islamismus sei Rheinland-Pfalz generell „ein bisschen die Insel der Seligen“, verdeutlichte Schröter. „In anderen Regionen ist die Sache deutlich mehr am Kochen. Ich würde auch nicht unbedingt erwarten, dass in Bad Kreuznach ein Attentäter mit dem Lkw in die Fußgängerzone brettert“, zeigte sich die Ethnologin und Islamismusexpertin überzeugt.
Seit 2012 verstärkt auch dschihadistische Aktivitäten
Deutschlandweit, so die Zahlen des Verfassungsschutzes, soll es etwa 43 000 Islamisten geben, 540 davon leben in Rheinland-Pfalz. Der Kreis gefährlicher Dschihadisten, also von Vertretern der militanten extremistischen Strömung des Islamismus unter diesen 540 Personen, würde aus gut 50 Menschen bestehen. Seit 2012 würden landesweit verstärkt dschihadistische Aktivitäten beobachtet. Das gab Aladdin Sarhan, Islamwissenschaftler und strategischer Auswerter im Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz, im Rahmen der Podiumsdiskussion zu Protokoll. Zur Veranstaltung hatten der Beirat für Migration und Integration der Stadt Mainz sowie das Institut zur Förderung von Bildung und Integration (INBI) geladen.
Vor allem INBI dürfte zum Thema Islamisierung über eine gute Expertise verfügen, verantwortet das Institut doch seit rund einem Jahr auch die Beratungsstelle „Salam“, die das Umfeld von Radikalisierten begleitet oder Letztere bei dem Ausstieg aus der Szene unterstützt. In den vergangenen zwölf Monaten habe man 78 Beratungsfälle zu bearbeiten gehabt, verdeutlichte die „Salam“-Projektleiterin Peimaneh Nemazi-Lofink.
Dabei habe sich als deutliche Tendenz gezeigt, dass Islamisten verstärkt junge Menschen zu verführen suchten. „Wir betreuen gerade vier Fälle, bei denen die Radikalisierten jünger als 14 Jahre sind“, sagte Nemazi-Lofink.
Allerdings wird „Salam“ schon in Kürze dem Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung unterstellt. „Das ist nicht etwa deshalb, weil wir mit der Arbeit von INBI unzufrieden sind“, betonte Klaus Peter Lohest, Abteilungsleiter im rheinland-pfälzischen Familienministerium, das die Beratungsstelle finanziert. Vielmehr erhoffe man sich durch die Umstrukturierung Synergieeffekte im Zusammenspiel von „Salam“ und dem Projekt „R(Auswege)“, mit dem Menschen der Weg aus der rechtsextremistischen Szene gezeigt werden soll und das bereits beim Landesamt angesiedelt ist.
Das könnte durchaus Sinn machen, denn nach Überzeugung der Extremismusexperten gibt es große strukturelle Ähnlichkeiten zwischen der rechten und der islamistischen Szene wie etwa auf organisatorischer Ebene. Zudem sei es in den vergangenen zwölf Monaten nicht gelungen, einen ausreichend konstanten und fruchtbaren Informationsfluss zwischen der vom Prinzip her nichtsstaatlichen Beratungsstelle „Salam“ und den Sicherheitsbehörden zu etablieren. Generell müsse es zum Thema Islamismus und Radikalisierung mehr Aufklärung geben, wie durch spezielle Programme für den Unterricht in den Schulen.