Gegenstände, die in der Wohnung eines „Reichsbürgers“ im Landkreis Neu-Ulm (Bayern) beschlagnahmt wurden. Archivfoto: dpa
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MAINZ - Spätestens mit den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten in Bayern im Oktober 2016 ist die „Reichsbürger“-Szene in den Fokus der Verfassungsschutzbehörden gerückt. Auch in Rheinland-Pfalz hat man sich des Themas angenommen und nun die Ergebnisse der Auswertung des „Reichsbürger“-Spektrums in einem ersten Lagebild dargestellt.
„Überwiegend Männer, älter als 50 Jahre und ohne erkennbaren Organisationsbezug“, so ließe sich der durchschnittliche „Reichsbürger“ nach den nun vorgelegten Erkenntnissen des rheinland-pfälzischen Verfassungsschutzes charakterisieren. Oder anders: 62 Prozent sind Männer, 58 Prozent von ihnen der Altersgruppe Ü-50 zuzurechnen. 407 seien es insgesamt, wobei 372 Einzelpersonen seien und bei weiteren 35 zumindest stark vermutet wird, dass sie zur Szene gehören.
Ein regionaler Schwerpunkt im Land sei im Norden von Rheinland-Pfalz und somit im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Koblenz zu finden. Dort seien 134 Personen der Szene zugehörig, was ungefähr einem Drittel aller „Reichsbürger“ des Landes entspricht.
8500 BUNDESWEIT
Bundesweit stehen etwa 8500 „Reichsbürger“ im Visier der Behörden. Das ergab eine Umfrage der Zeitung „Die Welt“.
Die Zahl der „Reichsbürger“ ist in Bayern mit 2700 am höchsten, in Hessen sind es 740. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl liegt jedoch Thüringen ganz vorn.
„Rheinland-Pfalz ist nicht das Zentrum dieser Bewegung“, sagte Lewentz mit Blick auf den zahlenmäßigen Vergleich zu den anderen Bundesländern.
„Generell ist die Dichte an ,Reichsbürgern’ entlang der Rheinschiene stärker, also auch in Rheinhessen und in der Vorderpfalz“, sagte Innenminister Roger Lewentz (SPD). So lebten im Bereich des Polizeipräsidiums Mainz mit 76 Personen die zweitmeisten „Reichsbürger“ landesweit.
Zwei arbeiten sogar im Öffentlichen Dienst
Paradoxerweise befinden sich zwei Szene-Zugehörige im aktiven Öffentlichen Dienst, einer im Norden, einer im Westen des Landes, wie Verfassungsschutzpräsident Elmar May andeutete. Paradox deshalb, weil „Reichsbürger“ generell den Staat Deutschland ablehnen. Ihrer Auffassung zufolge besteht das Deutsche Reich bis heute fort, sei aber von den Alliierten besetzt und werde von ihnen ausgebeutet. Aufgrund dieser eigenen Interpretation historischer Entwicklungen weigern sich „Reichsbürger“ auch, Steuern oder Abgaben zu leisten, und betreiben schwunghaft Handel mit eigenen Staatszugehörigkeitsdokumenten.
Zudem gäbe es noch zwei weitere Verdachtsfälle bei Personen im aktiven Öffentlichen Dienst – dabei gäbe es lediglich „erste, vage Hinweise“ die noch verifiziert werden müssten – und bei vier weiteren, die sich jedoch bereits im Ruhestand befänden. Ein weiterer „Reichsbürger“ sei in den Reihen der Landesverwaltung zu finden. Bei ihm handelt es sich um einen Polizeibeamten aus Trier. Gegen den Polizisten sei nach Bekanntwerden seiner Zugehörigkeit zur Szene im November vergangenen Jahres ein Disziplinarverfahren eröffnet worden, am 13. Februar sei er schließlich suspendiert worden.
„Reichsbürger“ hätten eine höhere Affinität zu Waffen als der Schnitt der Bevölkerung – das würde sie auch so gefährlich machen, hieß es. Und es sei nicht klar, inwieweit sich die Szene noch weiter radikalisieren könne, aber „wir haben Anlässe“, dass es dazu kommen könne, deutete Lewentz an. 17 Personen aus dem Spektrum würden über eine Waffenbesitzkarte verfügen. Das entspricht etwa vier Prozent aller rheinland-pfälzischen „Reichsbürger“, (Landesschnitt: 1,7 Prozent). Einen kleinen Waffenschein besäßen weitere 15 Zugehörige der Szene, fünf weitere besäßen beide Erlaubnisse.
Daher sei nun nach abgeschlossener Bestandsaufnahme eine der vornehmlichen Aufgaben der Behörden, ein besonderes Augenmerk auf den Waffenbesitz von „Reichsbürgern“ zu legen. Zunächst wolle man die zuständigen Verwaltungen gezielt mit weiteren Informationen zu den Betroffenen versorgen. Anschließend seien dann unbedingt Einzelfallprüfungen notwendig, um Waffenerlaubnisse entziehen oder versagen zu können.