Missbrauchsfälle: Lerch geht hinter geschlossenen Türen ins...

Helga Lerch (FDP). Archivfoto: Sascha Kopp
© Archivfoto: Sascha Kopp

Groß war die Aufregung jüngst nach Aussagen der FDP-Politikerin Helga Lerch zu Missbrauchsfällen an Schulen in Rheinland-Pfalz. Nun wurden im Bildungsausschuss des Landtags...

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MAINZ. Am Ende war es niemand gewesen. Niemand hat die Absicht, das heikle Thema sexueller Missbrauch an Schulen hochzukochen. Niemand will Lehrer unter Generalverdacht stellen. Niemand sagt, die Aufsichtsbehörden hätten Fälle schleifen lassen. Gemessen an der Erregung, die die FDP-Landtagsabgeordnete Helga Lerch vor einer Woche mit einer Wortmeldung im rheinland-pfälzischen Gleichstellungsausschuss ausgelöst hatte, war die Aufarbeitung am Freitag im Bildungsausschuss ein Muster an politischer Disziplin. Die Tagesparole lautete: Bloß kein Öl ins Feuer gießen!

Das war ausgebrochen, weil Lerch vor einer Woche von ihr bekannten Fällen sexueller Übergriffe berichtet und die Frage aufgeworfen hatte, ob das Beamtenrecht zur Sanktionierung ausreiche. „Ich habe ausschließlich nach dienstrechtlichen Konsequenzen gefragt“, wiederholte Lerch am Freitag im Bildungsausschuss. Da war ihre Frage längst zum Shitstorm angeschwollen, geisterte durchs Land, sie unterstelle der Schulaufsicht zu große Nachgiebigkeit. Ihre eigene FDP schimpfte, Lerch solle Ross und Reiter nennen, die CDU gab sich alarmiert und trommelte den Fachausschuss zusammen.

Zwei Fälle konkret genannt

Dort wurde aus Furor Fakten. „Ich werde Namen und Daten nennen“, sagte Lerch. Das tat die bildungspolitische Sprecherin der FDP hinter verschlossenen Türen. Konkret nannte sie zwei Fälle von 2012 und 2014, die beide dienst- und strafrechtlich abschließend behandelt sind und mit Disziplinarmaßnahmen endeten. Pikant dabei: Wie diese Zeitung erfuhr, war Lerch zwei Tage zuvor erst auf nachdrückliche Aufforderung ihrer FDP-Fraktion zum zuständigen Bildungsstaatssekretär Hans Beckmann gegangen und hatte die Fälle geschildert.

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„Frau Lerch hat ausdrücklich verneint, dass es um aktuelle Fälle geht“, betonte Bildungsministerin Stefanie Hubig (SPD) im Bildungsausschuss. Auch im Gesamtkontext spreche man von einer „sehr geringen Zahl“, sekundierte Thomas Linnertz, Präsident der ADD, bei der die Schulaufsicht angesiedelt ist. Und zwar von 48 Fällen. 34 wurden seit 2008 mit Disziplinarmaßnahmen abgeschlossen, was nicht zwingend eine strafrechtliche Verurteilung bedeuten muss. In 20 dieser Fälle wurde die beschuldigte Person aus dem Schuldienst entlassen, was übrigens ein Gericht verfügen muss. 14 weitere Fälle sind noch offen. Das alles bei einer Gesamtzahl von 48137 Lehrern und Schulangestellten.

Wer daraus einen Skandal mache, „der weiß nicht, wovon er redet, will Ängste schüren oder handelt leichtfertig und unverantwortlich“, grantelte Hubig und meinte damit die CDU, die öffentlich suggeriert habe, es gehe um neue, ungeklärte Vorgänge. Unions-Sprecherin Anke Beilstein hielt dagegen, Lerchs Aussagen seien so gravierend, dass es „inakzeptabel wäre, sie im Raum stehen zu lassen“.

2014 Schulgesetz verschärft

Hubig erklärte, Land, Ministerium und Schulaufsicht gingen jedem Verdacht „mit aller Konsequenz und klarer Haltung nach“, zudem habe man viel für Prävention getan und 2014 das Schulgesetz verschärft. Linnertz erläuterte die Null-Toleranz-Strategie seines Hauses. „Jede Andeutung, es könnte anders sein, macht mich betroffen.“ Klar sei aber: Jeder Fall ist individuell zu bewerten und zu sanktionieren, außerdem sieht das Beamtenrecht ein „Verwertungsverbot“ vor. Heißt konkret: Daten zu sexuellen Übergriffen müssen nach einer bestimmten Frist aus den Akten gelöscht werden. „Es kann einige Fälle mehr gegeben haben“, sagte Linnertz. Auch das macht die Bewertung so schwierig.

Schwer tut sich weiter auch die FDP mit der Causa Lerch. Sprecher Jascha Engelhardt sagte: „Die Fraktion wird sich nächste Woche mit dem Thema nochmals beschäftigen. Man muss sehen, wie die weitere Zusammenarbeit gestaltet werden soll.“ Das letzte Wort in Sachen Helga Lerch scheint also noch nicht gesprochen.

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Von Ulrich Gerecke