
Die Situation der Krankenpflege und der OP-Assistenzen an der Mainzer Universitätsmedizin ist seit Jahren angespannt. Nun wurde ein ungeheuerlicher Fall bekannt.
Mainz. Über die seit Jahren angespannte Situation der Krankenpflege und der OP-Assistenzen an der Mainzer Universitätsmedizin kommen immer absurdere Geschichten an die Öffentlichkeit. Die Redaktion hat ein ungeheurer Fall einer Operation im Bereich der Gefäßchirurgie erreicht. Bei der Amputation eines Zehs vor zweieinhalb Jahren hat der operierende Arzt die Putzfrau einer Reinigungsfirma als OP-Assistenz hinzugezogen. Für die Operation stand offenbar keine einzige OP-Assistenz zur Verfügung. Der Arzt hätte die Operation natürlich nicht durchführen dürfen.
Der Fall vom 21. Oktober 2020 ist von der damaligen OP-Managerin gegenüber dem Medizinischen Vorstand, Prof. Norbert Pfeiffer, ausführlich dokumentiert worden. Diese Meldung liegt der Redaktion vor. „Heute…konnten wir bei mehreren überlang-laufenden OP-Sälen der Gefäßchirurgie nicht zeitgerecht OP-Pflege verfügbar machen, um eine DS-Amputation zu versorgen. Daraufhin nahm Herr Dr. xxx eine Reinigungskraft der Firma xxx als OP-Tischassistenz hinzu“, schrieb die OP-Managerin, die inzwischen an die Berliner Charité gewechselt ist, dem verantwortlichen Vorstand der Uniklinik. Die aufgeführten Namen sind der Redaktion bekannt.
OP-Dokumentation war bewusst fehlerhaft angelegt
Als die OP-Managerin aus einem Nachbarsaal von dem Vorfall erfahren habe, habe sie umgehend die Operation aufgesucht, die zu diesem Zeitpunkt aber so gut wie abgeschlossen gewesen sei. Sie habe die Reinigungskraft mit blutigem Sauger und blutiger Kompresse in den Händen haltend am OP-Tisch vorgefunden. Die Frau sei weder technisch noch hygienisch oder sonst wie unterwiesen worden: „Ob beispielsweise ein korrektes Hände-Einwaschen stattgefunden hat und Sterilität bei der Sieb- und Instrumentenangabe gewährleistet blieb etc., wissen wir nicht. Ein OP-Pflegeprotokoll wurde ebenfalls nicht angelegt, da es keine OP-Pflege im Saal gab.“
Die OP-Managerin musste zudem feststellen, dass die urkundliche OP-Dokumentation für den Patienten bewusst fehlerhaft angelegt war: Der darin genannte Operateur und Assistent seien bei der OP nicht zugegen gewesen, der tatsächliche Operateur in dem Protokoll nicht genannt worden. Und: „Was beispielsweise mit der operierten Gliedmaße passierte und ob diese korrekt entsorgt wurde, entzieht sich ebenfalls meiner Kenntnis“, schrieb die OP-Managerin dem Medizinischen Vorstand, der für den OP-Bereich in letzter Instanz verantwortlich zeichnet.
Wurde der Patient über die Panne informiert?
Eine ganze Reihe von Fragezeichen ergeben sich auch bezüglich des Umgangs der Universitätsmedizin mit dieser beispiellosen Entgleisung. Die VRM hat dem Vorstandsvorsitzenden und Medizinischen Vorstand Pfeiffer einen Fragenkatalog vorgelegt. Die Antworten der Pressestelle lassen nicht darauf schließen, dass dem Fall mit der gebotenen Transparenz und Konsequenz nachgegangen worden ist. Ob der Patient über die Panne informiert wurde? Die uneindeutige Antwort: „Der Leiter der zuständigen Abteilung wies die operierende Person an, den Patienten umgehend zu informieren.“ Hat der Vorstand das Ereignis allen Chefärzten mit Zugang zu den OP-Sälen kommuniziert? „Da es sich um eine individuelle Pflichtverletzung einer Einzelperson handelte, bestand keine Notwendigkeit“, heißt es in der Antwort. Hat der Vorstand dem Aufsichtsrat der Universitätsmedizin oder einer unabhängigen Stelle den Vorfall gemeldet? Auch hier zieht sich der Vorstand auf den Einzelfall zurück, der in diesem Sinne nicht meldepflichtig gewesen sei.
Gab es dienstrechtliche Konsequenzen für Verantwortliche der betroffenen Klinik oder Verantwortliche für die OP-Organisation, die direkt beim Medizinischen Vorstand angesiedelt ist? „Die operierende Person erhielt eine Ermahnung.“ Zur Einordnung: Eine Ermahnung ist die schwächste Form eines arbeitsrechtlichen Eingreifens. Dass der betreffende Arzt nicht einmal eine Abmahnung mit Kündigungsandrohung erhielt, schiebt der Vorstand auf den Personalrat der Universitätsmedizin, der bei seiner Anhörung eine Abmahnung abgelehnt habe. Im Arbeitsrecht ist eine Abmahnung allerdings auch bei einem Einspruch des Personal- oder Betriebsrats möglich. Diese muss dann lediglich der Personalakte beigefügt werden.
Unterdessen bemüht sich der Vorstand im Intranet der Universitätsmedizin, die Berichterstattung der VRM über das Misstrauensvotum von 41 Chefärzten gegen den Vorstand abzuschwächen, das diese in einem Brandbrief an den Aufsichtsratsvorsitzenden der Universitätsmedizin, den rheinland-pfälzischen Gesundheitsstaatssekretär Denis Alt (SPD), übermittelt haben. In einem sogenannten Faktencheck bemüht sich die Pressestelle, die Rechercheergebnisse der VRM abzuschwächen, ohne sie substanziell zu entkräften. Von der Möglichkeit einer Gegendarstellung in den Zeitungen der VRM hat der Vorstand dagegen keinen Gebrauch gemacht. Wenn diese formgerecht verfasst wird, wäre der Verlag selbst dann zum Abdruck verpflichtet, wenn diese nicht überprüfbare oder falsche Tatsachenbehauptungen enthalten würde.