Mehr als 850 Rettungskräfte sind in den vergangenen Jahren allein in Rheinland-Pfalz bei Einsätzen attackiert worden. Die Stimmung habe sich gewandelt, sagt ein DRK-Sprecher.
MAINZ. In den vergangenen fünf Jahren sind in Rheinland-Pfalz über 850 Angehörige von Rettungsdiensten und Feuerwehrleute bei ihren Einsätzen Opfer von Gewalt geworden. Das geht aus der Antwort der Staatskanzlei auf eine Anfrage der AfD-Landtagsfraktion hervor. Bei der überwiegenden Zahl der zwischen 2017 und 2021 erfassten Fälle waren demnach Angehörige der Rettungsdienste Zielscheibe von Angriffen, Bedrohungen und Nötigungen (771). Im selben Zeitraum waren 85 Feuerwehrleute betroffen.
Die Zahl der Gewaltdelikte gegen Helferinnen und Helfer von Rettungsdiensten stieg dabei von 95 im Jahr 2017 auf 114 im vergangenen Jahr. Die meisten Fälle wurden dabei im Jahr 2019 mit 117 Personen registriert. Allein im vergangenen Jahr gab es bei den Rettungsdiensten 55 Leichtverletzte infolge von Gewaltdelikten, bei den Feuerwehren führt die Statistik keine Verletzten auf.
"Die Stimmung ist anders als noch vor ein paar Jahren"
Diese nackten Zahlen decken sich weitgehend mit der Einschätzung eines Experten des Deutschen Roten Kreuzes. "Die Zahl von Übergriffen gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Rettungsdiensten nimmt über die Jahre hinweg gesehen zu", sagte Philipp Köhler vom DRK-Rettungsdienst Rheinhessen-Nahe. "Die Stimmung ist anders als noch vor ein paar Jahren. Man kann sich nicht mehr darauf verlassen, dass man als Rot-Kreuzler bei einem Rettungseinsatz Wertschätzung, Anerkennung und Respekt erfährt und dass man seine Arbeit ungestört machen kann."
Den einen, typischen Problemfall gebe es nicht, dafür seien die Einsätze zu unterschiedlich, erklärte Köhler, der selbst Notfallsanitäter ist. Schwierig könne es zum Beispiel werden, wenn die Rettungskräfte vor Ort eine aufgeheizte Stimmung vorfänden. "Es gibt dann Angehörige, die erklären wollen, was Priorität hat oder wie der Patient am besten behandelt werden soll." Auch komme es vor, dass Leute von außen auf ein Einsatzfahrzeug klopften oder Sanitäter mit Steinen bewarfen.
Zudem gebe es mitunter Patienten, die unbedingt in ein bestimmtes Krankenhaus gebracht werden wollten, was aber manchmal nicht möglich sei, weil es dort keine Aufnahmekapazitäten mehr gebe, sagte er. "Die Anspruchshaltung von Patienten, Angehörigen oder Umstehenden ist in den vergangenen Jahren größer geworden." Er glaube, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rettungsdienst ein "relativ dickes Fell" besäßen. "Es ist schade, dass man das haben muss." Wegen der Corona-Pandemie gab es zwei Jahre lang kaum öffentliche Partys und Volksfeste; Discos hatten geschlossen. "Das ändert sich nun wieder und daher gibt es auch wieder mehr Anlässe, bei denen es zu Übergriffen kommen kann", erklärte Köhler.
Doch Übergriffe sind nach seiner Einschätzung die Ausnahme. "Der Großteil der Menschen ist für unsere Arbeit wirklich dankbar." Die öffentliche Aufmerksamkeit für Angriffe und ähnliche Delikte gegen Rettungsdienste sei - in klassischen Medien, aber vor allem vorangetrieben durch Social Media - in den vergangenen Jahren viel größer geworden als früher. So könne es sein, dass ein einziger Vorfall den Menschen dann gleich dutzendfach auf verschiedenen Kanälen präsentiert werde.
Kampagne wirbt für mehr Respekt
Das DRK bietet seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rettungsdienst nach Angaben des Sprechers interne Schulungen an, um mit Konfliktsituationen umgehen zu lernen. Auch in der dreijährigen Ausbildung zum Notfallsanitäter werde der Umgang mit Konflikten und Deeskalation trainiert. "Das hat ganz viel mit Kommunikation und dem Entgegenbringen von Verständnis zu tun", sagte Köhler. "Es geht aber auch um Eigenschutz, also beispielsweise um einen Rückzug aus einem Raum, wenn eine Situation brenzlig wird."
Ähnliche Schulungen gebe es beispielsweise auch bei der Initiative "Helfer sind tabu", die aus allen am Rettungsdienst beteiligten Hilfsorganisationen sowie Feuerwehr und Polizei besteht und aus Spendengeldern finanziert wird.
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Der DRK-Sprecher verwies zudem auf die Kampagne #IMMERDA des Landes Rheinland-Pfalz, mit der für Respekt für die Einsatzkräfte geworben wird. "Die Zusammenarbeit ist sehr gut", sagte er. Politisch sei einiges getan worden, wie die Verschärfung von Bußgeldern und die Einführung des sogenannten Gaffer-Paragrafen. "Das muss aber auch in der Praxis umgesetzt werden", betonte er.
Bei allen Schwierigkeiten im Rettungsalltag sei es aber nicht so, dass es Probleme gebe, Nachwuchskräfte zu finden. "Beim DRK Rettungsdienst Rheinhessen-Nahe beispielsweise hatten wir in diesem Jahr für 18 Plätze für eine Ausbildung zum Notfallsanitäter 250 Bewerbungen." Der DRK Rettungsdienst Rheinhessen-Nahe versorgt nach seinen Angaben mit 18 Rettungswachen, 11 Notarztstandorten, 2 Leitstellen und rund 800 Mitarbeitenden etwa ein Drittel von Rheinland-Pfalz.
Von dpa