Showdown in Bad Vilbel: Auf ihrem kleinen Parteitag, dem Länderrat, vor den Toren Frankfurts steht die Parteispitze unter großen Druck. Kommt es zum großen Scherbengericht?
Bad Vilbel. In Bad Vilbel vor den Toren Frankfurts ringen die Grünen am Samstag seit 11 Uhr um ihren Kurs in der Asylpolitik. Zwar geht es im sogenannten Länderrat, einer Art kleinem Parteitag, auch um Klimaschutz und das Heizungsgesetz von Wirtschaftsminister Robert Habeck. Im Zentrum der Debatten aber steht der jüngste Asylkompromiss der EU. Er sieht zahlreiche Verschärfungen vor, wurde von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit ausgehandelt und fand im Bundeskabinett auch die Zustimmung der grünen Ministerinnen und Minister.
Der Riss in der Asylpolitik geht auch durch die Parteispitze
Diese Zustimmung war in weiten Teilen der Partei auf Ablehnung und Empörung gestoßen; der Riss geht auch durch die Partei- und Fraktionsspitze. Gegner des Asylkompromisses fordern eine klare Distanzierung von der Entscheidung, mit der die EU-Staaten nun in Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament zu der Reform gehen sollen. Zahlreiche Anträge verlangen substanzielle Verbesserungen im sich nun anschließenden „Trilog“ zwischen Europaparlament, EU-Kommission und EU-Ministerrat.
In der vergangenen Woche hatten die EU-Innenminister mit deutscher Zustimmung – und damit auch mit Billigung von Spitzen-Grünen – Pläne für eine weitreichende Asylreform beschlossen. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen, um irreguläre Migration zu begrenzen – insbesondere aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Selbst Teile des grünen Führungspersonals lehnten die Zustimmung ab. Zusätzlich befeuert wird die Debatte von der jüngsten Bootskatastrophe, bei der vor einigen Tagen mehrere 100 Flüchtlinge vor der griechischen Küste ertranken.
Unmittelbar vor dem Länderrat warnten mehr als 80 Grünen-Landtagsabgeordnete in einem Brief an die Delegierten vor den Plänen zur Verschärfung des europäischen Asylrechts. „Diese Einigung wird keine Menschenleben retten, keine gerechte Verteilung in der EU herbeiführen und den Kommunen keine Abhilfe bei ihren akuten Problemen schaffen“, heißt es in dem Schreiben. Die Ergebnisse stellten „eine weitere Verschlechterung der Rechte für Menschen, die sich auf der Flucht befinden“, dar.
Grüne Jugend fordert beim Länderrat eine Kurskorrektur
„Die Einigung der Innenminister stellt eine weitere Verschlechterung der humanitären Lage an den Außengrenzen dar, die wir nicht mittragen können“, sagte der Chef der Grünen Jugend, Timon Dzienus, der dpa. Man wolle beim Länderrat eine Kurskorrektur durchsetzen. Ziel seien Bedingungen für die anstehenden Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Staaten, Europaparlament und EU-Kommission. Bei einem endgültigen Beschluss am Ende müsste sich die Bundesregierung erneut positionieren. „Die deutsche Zustimmung wollen wir von klaren Verbesserungen der humanitären Lage an den Außengrenzen abhängig machen“, erklärte Dzienus.
Die Partei-Nachwuchsorganisation hat mehrere entsprechende Änderungsanträge gestellt. Sie richten sich gegen Passagen im Antrag des Bundesvorstands. In diesem heißt es, in der Einigung im Innenministerrat gebe es Verbesserungen, die ohne deutschen Einsatz nicht zustande gekommen wären. Jedoch seien zentrale Punkte nicht erreicht worden, und das Ergebnis sei von den Positionen der Grünen weit entfernt. „Gleichzeitig sehen wir das europapolitische Dilemma. In der Gesamtschau bewerten wir das Ergebnis unterschiedlich.“
Eigentlich sollte der Länderrat die hessischen Grünen bei ihrem anstehenden Landtagswahlkampf zu unterstützen – in Hessen wird im Oktober gewählt, und Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir will erster grüner Ministerpräsident des Bundeslandes werden. Nun befürchten viele Grüne, dass es in Bad Vilbel zu einem Scherbengericht über die grüne Parteispitze kommt – mit negativen Folgen auf die derzeit guten Umfrageergebnisse der hessischen Grünen. Sollten die Änderungsanträge, die den Asylkompromiss der EU strikt ablehnen, eine Mehrheit finden, droht auch in der Ampel-Regierung in Berlin ein neuer Großkonflikt.