Schilderungen der Entführung berühren noch heute viele Zuhörer. Der Peiniger gestand die Tat erst nach mehr als zwei Jahrzehnten.
WIESBADEN - Richard Oetker reduziert seine Entführung gerne auf Zahlen: 1,94 Meter sei er groß gewesen und 1,44 Meter lang war die Holzkiste, in die er sich quetschen musste. Einen Meter hoch und „so breit wie heute meine Schultern“. 42 Jahre liegt das Martyrium zurück, und doch scheint jedes Detail so präsent wie unmittelbar nach der Befreiung am 16. Dezember 1976. Vielleicht liegt es daran, dass der 67-Jährige sein Schicksal schon vielen Menschen geschildert hat, die ihm auch heute noch gebannt zuhören.
Im Gespräch wirkt der große schwere Mann, der auf Gehhilfen angewiesen ist, aufgeräumt, schlagfertig. Seit einem Jahr übt er im Oetker-Konzern keine operative Funktion mehr aus. Über die fünf Enkel freut er sich und dass er sein Hobby, die Oldtimer-Sammlung, sowie Freundschaften pflegen kann.
Wer diesem jovialen älteren Herrn mit dem schlohweißen Haarschopf gegenübersitzt, übersieht schnell, dass Richard Oetker eisenhart und unduldsam seinen Peiniger verfolgt und maßgeblich dazu beigetragen hat, ihn zu überführen. Schon in seinem Kistengefängnis, gefesselt an Händen und Füßen, sammelt der 25-jährige Student Indizien. Dabei hilft die Armbanduhr, mit deren Hilfe er Fahrten und Aufenthalte stoppt. Er vernimmt Hundegebell. Könnte ein Schäferhund gewesen sein, sagt er der Polizei später. Die Vermutung stimmt. Ebenso hilfreich ist die Autoleidenschaft Oetkers, der einen Mercedes-Motor mit sechs Zylindern bei der Abfahrt vom Hof identifiziert.
Äußerlich ungerührt berichtet er bei Veranstaltungen des Weißen Rings, dass ihm die Stromstöße in der Holzkiste das Leben gerettet hätten. An die Handschellen hat Entführer Dieter Zlof elektrische Drähte angeschlossen, die bei starker Geräuschentwicklung Stromstöße übertragen. Zlof löst diesen Impuls aus Versehen selbst aus und fügt seinem Opfer damit zehn Sekunden lang unfassbare Schmerzen zu. Der Körper kann sich in der Kiste nicht ausdehnen, die Muskeln krampfen so stark, dass die Knochen brechen. Danach darf sich Oetker ab und zu in der Kiste ohne Deckel aufsetzen: „Mein Glück, sonst wäre ich mit den eingedrückten Lungenflügeln langsam erstickt.“ „Ein angenehmer Tod“, fügt er hinzu. Zlof ist für ihn nur der Täter oder „Checker“. So nennt Oetker seinen Peiniger, um sich ihm stärker verbunden zu fühlen. Checker, so lautet der Spitzname eines Jugendfreundes des jungen Richard.
Aktiv beteiligt er sich an der Suche nach der Beute. Dieter Zlof gesteht erst 21 Jahre später. Er tappt in eine Falle, die ihm die Polizei in London gestellt hat, wo er einen Teil seiner Beute gegen unregistrierte Geldscheine eintauschen will. Vorher hat Zlof seine Strafe für Entführung (15 Jahre) immer als Justizirrtum dargestellt. 1997, 21 Jahre nach der Tat, wird er zum zweiten Mal verurteilt – wegen Geldwäsche.