Vorhofflimmern vergrößert das Schlaganfallrisiko. Wie kann man vorbeugen?
Von Regine Warth
Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen können helfen, einen drohenden Hirninfarkt zu erkennen.
(Foto: rodnikovay – stock.adobe)
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Eine taube Körperhälfte, hängende Mundwinkel sowie Sprach- und Sehstörungen sind Symptome einer Durchblutungsstörung im Gehirn. Spezialisten warnen vor den Risikofaktoren.
Im Schlaganfallzentrum der Uniklinik Mannheim wird eine 69-jährige Patientin eingeliefert. Die gefährliche Blockade zeigt sich bei der ersten bildgebenden Untersuchung nur als winziger Fleck. Dort sitzt das Gerinnsel, das den Blutfluss in der mittleren Gehirnarterie der 69-Jährigen abrupt gestoppt hat. Auf einen Schlag konnte sich die Patientin nicht mehr richtig bewegen. Der linke Arm und das linke Bein wurden schlaff. Die Aussprache war plötzlich verwaschen. Wird jetzt nicht schnell gehandelt, wird die Frau nie wieder richtig sprechen, sie wird sich nicht mehr alleine anziehen können – oder sie wird sterben.
270 000 Gehirninfarkte pro Jahr in Deutschland
Im Schlaganfallzentrum der Uniklinik Mannheim sehen die Ärzte solche Fälle mehrmals täglich. Ereignen sich doch nach Angeben der Stiftung Schlaganfall-Hilfe (DSG) bundesweit 270 000 Hirninfarkte pro Jahr. Etwa, weil ein Gefäß im Gehirn reißt, oder – was weitaus häufiger geschieht – ein Pfropfen es verschlossen hat. „Mehr als 85 bis 90 Prozent dieser Hirninfarkte werden durch ein Blutgerinnsel ausgelöst“, sagt Armin Grau, Vorsitzender der DSG.
Auffallend ist, dass sich unter den Betroffenen besonders viele Patienten befinden, deren Herz zeitweise nicht im Takt ist: Rund ein Drittel dieser sogenannten ischämischen Schlaganfälle wird durch Herzrhythmusstörungen mitverursacht, sagt Martin Borggrefe, der die Kardiologie an der Uniklinik in Mannheim leitet. Sein Team hat die 69-jährige Patientin mitbetreut und festgestellt: Auch sie hatte Vorhofflimmern.
Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen können helfen, einen drohenden Hirninfarkt zu erkennen. Foto: rodnikovay – stock.adobe
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Bei dieser Herzrhythmusstörung kommt es zu einem schnellen, unkoordinierten Puls. Der Herzmuskel pumpt dann nicht mehr rhythmisch das Blut in den Kreislauf. Die Fließgeschwindigkeit des Bluts verringert sich im linken Vorhof, und es bildet sich im Herzen ein Gerinnsel. Eine tickende Zeitbombe: Wenn es sich löst, kann es mit dem nächsten Pumpstoß in die Halsschlagader und von dort in das Gehirn transportiert werden, wo es Gefäße verstopfen kann. Dann werden Teile des Gehirns nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt und damit auch nicht mit Sauerstoff.
Der Mannheimer Kardiologe Borggrefe forscht seit Jahren über die Herzerkrankung, die seiner Meinung nach „noch viel zu sehr unterschätzt wird“. Seit 2016 ist seine kardiologische Klinik zusammen mit denen des Klinikums Ludwigshafen und des Universitätsklinikums Heidelberg Teil eines wissenschaftlichen Projekts der Stiftung Institut für Herzinfarktforschung. Ziel ist der Aufbau einer wissenschaftlichen Datenbank von rund 10 000 Patienten mit Vorhofflimmern, die Ärzten und Wissenschaftlern dabei helfen soll, mehr über die Ursachen und Therapiemöglichkeiten der Rhythmusstörung herauszufinden.
VORHOFFLIMMERN BEHANDELN
Ärzte behandeln bei Herzrhythmusstörungen vor allem die Grunderkrankung. Sie versuchen, Einfluss auf den Takt des Herzens zu nehmen, wenn die Symptome stark ausgeprägt sind. Diese Methoden können helfen:
Medikamente
Mit Antiarrhythmika versuchen Kardiologen, den falschen Rhythmus zu unterdrücken oder die Häufigkeit der Störung zu reduzieren. Es braucht oft Geduld, bis Medikament und Dosierung gefunden worden sind.
Elektroschock
Ist die Therapie mit Medikamenten nicht erfolgreich, versucht man das Störfeuer zunächst mit einem Elektroschock auszuschalten.
Katheterablation
Bei dieser Verödungsbehandlung werden die störenden Muskelzellen ausgeschaltet. Das geschieht entweder mit Kälte oder mit Hitze.
Etwa eine Millionen Patienten sind wegen Rhythmusstörungen in Behandlung. Es gibt aber mit Sicherheit mehr Betroffene: Nicht jeder bemerkt es, wenn das Herz stolpert, springt oder kurzzeitig rast. Auch Borggrefe sagt: „Die Hälfte der Patienten, die wir sehen, bemerkt vom Vorhofflimmern nichts.“ So ist auch nicht jeder Stolperer gleich Grund zur Besorgnis. Ein kurzzeitig falscher Herzrhythmus kann durch Alkohol und Nikotin ausgelöst werden. Auch zusätzliche Herzschläge, Extrasystolen genannt, sind ungefährlich, wenn das Herz ansonsten gesund ist.
Anders sieht es allerdings bei angeborenen Herzrhythmusstörungen aus - und bei solchen, die aufgrund einer Erkrankung entstanden sind: einer Verengung der Herzkranzgefäße, einer Herzschwäche oder einer krankhaft vergrößerten Schilddrüse. Nicht zuletzt ist es der Bluthochdruck, der ganz erheblich das Risiko für Herzrhythmusstörungen steigert.
Das Problem ist: „Wir können nicht vorhersehen, welcher Patient mit Vorhofflimmern auch mit einem Schlaganfall zu rechnen hat“, sagt Borggrefe. Aber es gibt Hinweise auf Risikofaktoren, wie etwa das Alter. Während Vorhofflimmern vor dem 50. Lebensjahr nur einer von hundert entwickelt, sind es bei über Sechzigjährigen bereits vier bis sechs Prozent. Von den über Achtzigjährigen hat fast jeder Sechste Vorhofflimmern.
Die Anzahl der Herzkranken steigt an
Riskant sind auch Grunderkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes, Gefäßkrankheiten oder ein schon überstandener Schlaganfall. „Je mehr Faktoren zusammenkommen, umso höher ist auch das Risiko“, so Borggrefe. Medikamente, die das Entstehen von Blutgerinnseln hemmen, sind daher bei dieser Risikogruppe Pflicht.
Das Vorhofflimmern selbst wird dagegen nur behandelt, wenn die Patienten einen gewissen Leidensdruck haben.
Und dennoch wird die Zahl der von Herzrhythmusstörungen Betroffenen wachsen. Mit der älter werdenden Bevölkerung steigt auch die Zahl der Herzkranken. Um auf die wachsende Zahl potenzieller Schlaganfallkandidaten vorbereitet zu sein, plädieren Spezialisten für flächendeckende Screenings bei 65- bis 70-Jährigen. Dabei reicht es, den Puls regelmäßig auf Unregelmäßigkeiten zu überprüfen. Tritt eine Störung auf, sollte ein Arzt mithilfe eines Elektrodiagramms (EKG) die Aktivität des Herzens untersuchen, sagt Borggrefe.
Vielleicht hätte dies auch der 69-jährigen Patientin den Hirninfarkt erspart. Zumindest hatte sie das Glück, dass die Symptome ihres Schlaganfalls von Verwandten gleich richtig gedeutet wurden und sie in die Notaufnahme eingeliefert wurde. Das Blutgerinnsel konnte in kurzer Zeit entfernt werden. Die Ärzte sind sich sicher: Sie wird sich wieder erholen.