Die geschnitzten Pupillen des Bremthaler Herrgottschnitzers

aus Altes und seltenes Handwerk

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Hans-Albert Herrmann in der Werkstatt

Jesus Christus, Juan Carlos und John Wayne: Wir begleiten Hans-Albert Herrmann für die crossmediale Reportage „Altes und seltenes Handwerk“ durch Hessens größte Krippenschau.

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Eppstein-Bremthal. Die raue Haut der kräftigen Hände deutet auf ein langes Arbeitsleben hin – der rechte kleine Finger fehlt seit einem Arbeitsunfall mit der Kreissäge. Sägespäne haften an den dunklen Armschonern, die Hans-Albert Herrmann unter einem karierten, kurzärmligen Flanellhemd trägt. Immer wieder dehnt und massiert der 78-jährige Mann, der in der Region als Herrgottschnitzer von Bremthal bekannt ist, gedankenverloren seine Hände, mit denen er in den vergangenen Jahrzehnten so fein modellieren und schnitzen konnte. Hans-Albert Herrmann wirkt traurig: „Das wird leider nichts mehr, mit dem Pupillen schnitzen. Ich wurde schon mehrfach operiert, aber die Hand wird über Nacht immer wieder steif. Ich muss die Finger jeden Morgen 20 Minuten dehnen, bevor ich aufstehe.“ Eine genaue Diagnose gibt es nicht – Spezialisten konnten ihm bislang auch nicht helfen – die Geschmeidigkeit und Kraft der rechten Hand scheint verloren. Hans-Albert Herrmann ist der letzte seiner Art in der gesamten Region.

Der Hof von Hans-Albert Herrmann aus der Luft
Die große Werkstatt von Hans-Albert Herrmann
Hände des Herrgottschnitzers
Häuptlingskopf mit geschnitzten Pupillen
Hans-Albert Herrmann in der Werkstatt
Holzbüste von Juan Carlos von Hans-Albert Herrmann
Geschnitzte Figuren in Heiligenraum der Krippenschau
Krippe vom Herrgottschnitzer
Schnitzereien in der Werkstatt
Schnitzwerkstatt
Herrgottschnitzer in der Werkstatt

Video-Reportage Herrgottschnitzer

Begleite Hans-Albert Herrmann durch seine Werkstätten und die Krippenausstellung. Zum Abspielen des Films bitte auf das Dreiecksymbol klicken.

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Seit 64 Jahren arbeiten diese Hände mit Holz. Als Hans-Albert Herrmann 14 Jahre alt war, wurde sein handwerkliches Talent entdeckt. Damals lies sein Vater das Dach neu decken und der junge Hans-Albert ging den Handwerkern nach der Schule zur Hand und wurde direkt als Lehrling übernommen. Nach der Ausbildung machte er sich als Dachdecker selbstständig und baute den Betrieb immer weiter aus. „Wir hatten immer viel zu tun und deswegen brauchten wir auch immer mehr Fachkräfte. Am Schluss waren wir 46 Leute im Betrieb und damit die größte Dachdeckerei von Hessen“, erzählt Hans-Albert Herrmann. Mit der Größe und dem Umsatz des Betriebes ist auch die Verantwortung gewachsen. Irgendwann sei es ihm zu viel geworden – wenn mal wieder schlechtes Wetter den engen Terminkalender durcheinandergebracht hatte und Mitarbeiter bezahlt werden mussten, obwohl sie nicht arbeiten konnten. Der Unternehmer hat sich deshalb entschieden, den Betrieb an seinen damaligen Partner zu verkaufen. Mit seinen Rücklagen konnte er einen lange gehegten Traum verwirklichen: Sein Hobby zum Beruf zu machen. 1988, nach fast 30 Jahren, ist aus dem Dachdecker der Schnitzer geworden.

Herrgottschnitzer verwandeln rohes Holz in Heiligenfiguren. Mit 40 Jahren erlernte Hans-Albert Herrmann in Oberammergau und Elbigenalp in Österreich das Schnitzen und Modellieren von Skulpturen. Viele Krippenfiguren des Wiesbadener Sternschnuppenmarktes stammen aus Hans-Albert Herrmanns Werkstatt. Aber auch abseits des Weihnachtgeschäftes werden seine handgefertigten Heiligenfiguren vertrieben. Immer häufiger werden von der Konkurrenz vorgefräste Rohlinge weiterverarbeitet und dann bemalt. Das ist sehr viel schneller und billiger in der Herstellung. Für seine Schnitzkurse hat auch Hans-Albert Herrmann gelegentlich darauf zurückgegriffen, damit auch Einsteiger einen erfolgreichen Zugang zum Schnitzhandwerk finden können. „Meine Figuren sind alle komplett von Hand geschnitzt“, sagt der Herrgottschnitzer, „bei mir gibt es keine vorkonfektionierte Industrieware. Ich mag besonders die großen Skulpturen, die aus einem Stück herausgearbeitet sind“. Die Qualität seiner Arbeit hat sich bis in das spanische Königshaus herumgesprochen, an das er eine Büste von König Juan Carlos geliefert hat. Stolz hat er einige Kopien von Juan Carlos und einige andere ausgewählte Bildnisse als Erinnerung in seiner Werkstatt und den Ausstellungsräumen aufgestellt.

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Zum Pupillenschnitzen nach Südamerika

Während in Westeuropa das Handwerk immer seltener wird, gibt es in Südamerika noch ein ganz anderes Bewusstsein für Religion und Heiligenfiguren. Bei einem Bildhauer aus Ecuador hat er später noch das Pupillenschnitzen erlernt – in Deutschland und Österreich wurden lange Zeit Augen und Pupillen nur gemalt. „Ricardo Villacis hat mir das in drei Wochen beigebracht. Dann habe ich ihn später immer wieder zu uns eingeladen und schließlich ist er ganz nach Deutschland gekommen. Wir haben viele Jahre zusammengearbeitet und gemeinsam Kurse angeboten, in denen wir auch das Pupillenschnitzen gezeigt haben“, sagt Hans-Albert Herrmann. Da man als Herrgottschnitzer keine Familie ernähren kann, hat sich Ricardo Villacis auf große Skulpturen spezialisiert, die effektvoll mit Kettensägen hergestellt werden.

Hessens größte Krippenschau

Hans-Albert Herrmann steht inmitten seines handwerklich-künstlerischen Lebenswerks in Eppstein-Bremthal. Ein lebensgroßer Bär, aus einem dicken Baumstamm gearbeitet, hockt auf einem Holzstamm. Ein geschnitztes Hausschwein, das auf ein hölzernes Wildschwein glotzt, mit Balken umrahmtes Mauerwerk, Sprüche auf verzierten Holzschildern und niedrige Ziegeldachkanten erinnern an Heimatmuseen, historische Themenparks oder alpenländisches Dorfidyll. Mehrere einstöckige Gebäude an der Nauroder Straße sind um den gepflasterten Innenhof angeordnet. Darin sind Werkstätten, Ausstellungsräume und der Wohnbereich eingerichtet. Schon das reich verzierte Portal zum Hof verdeutlicht, dass die Besucher nun eine andere Welt betreten. Ein großes Banner bewirbt die größte Krippenschau Hessens und genau gegenüber ist ein mehrere Quadratmeter großes Holzrelief des historischen Eppstein angebracht. Auf dem dunklen Balken über dem Eingang prangt in weißer Frakturschrift: Es ist keine Villa, es ist nur ein Haus. Doch wir sind zufrieden und das macht es aus.

Das Herzstück des Anwesens ist die Krippenschau in einem eigens dafür eingerichteten Gebäude. Lange Regalwände sind mit Krippen und typischen Figürchen bestückt, die zur Weihnachtszeit in vielen Stuben stehen. Ganz unterschiedliche Ställe, dazu Marias, Josefs und Jesuskinder, die immer wieder geklaut werden. An den Wänden hängen Engelchen, Reliefs und Holztafeln. Manch ein Engelsgesicht erinnert an weibliche Familienmitglieder des Herrgottschnitzers. Die Vielzahl der Werke und die Qualität der Arbeiten sind beeindruckend.

360-Grad-Rundgang Herrgottschnitzer

Klicke dich mit den pulsierenden Navigationselementen in die Welt des Herrgottschnitzers.

Hans-Albert Herrmann blickt stolz auf ein großes Lebenswerk zurück und würde doch so gerne einfach weitermachen wie bisher. Leider kann er das nicht mehr und der Schmerz darüber ist ihm anzumerken. Aber er hat unzählige Werke geschaffen, in denen seine besondere Handwerkskunst lebendig bleibt. Noch viele Augen werden in die geschnitzten Pupillen seiner Heiligenfiguren schauen und damit in einen Teil der Seele des Herrgottschnitzers von Bremthal blicken.