Weiteres Beben der Stärke 7,5 erschüttert Südosttürkei

Erdbeben

Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist noch gar nicht abzusehen, die Zahl der Toten steigt auf mehr als 1400. Internationale Hilfe für die Türkei und Syrien läuft an.

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Istanbul. Häuser stürzen ein und begraben ihre Bewohner unter sich, bei eisigen Temperaturen suchen Retter nach Überlebenden - ein verheerendes Erdbeben hat in der Türkei und in Syrien viele Menschen das Leben gekostet. Es gab eine große Zahl von Nachbeben. Das Beben der Stärke 7,7 hat am frühen Montagmorgen die Südosttürkei erschüttert. Das Epizentrum lag nach Angaben der Katastrophenschutzbehörde Afad in der Provinz Kahramanmaras nahe der syrischen Grenze. Ein weiteres Beben der Stärke 6,6 sei kurz danach in der Provinz Gaziantep gemessen worden.

Am Montagmittag meldete die Erdbebenwarte Kandilli in Istanbul ein weiteres Erdbeben der Stärke 7,5, das die Südosttürkei erschütterte. Das Epizentrum habe in der Provinz Kahramanmaras gelegen. Auch in Syrien und im Libanon bebte die Erde. 

Sehen Sie im Video Drohnenaufnahmen zu den schweren Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion:

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Die Zahl der Toten in der türkisch-syrischen Grenzregion ist nach den ersten Beben vom Morgen auf mehr als 1400 gestiegen. Allein in der Türkei kamen 912 Menschen ums Leben. Mehr als 5300 Menschen seien verletzt worden, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Montag. Mehr als 2400 Menschen seien aus den Trümmern gerettet worden. 

In Syrien stieg die Zahl der Todesopfer auf 547 Tote. Rund 1600 Menschen seien verletzt worden, berichteten der stellvertretende Gesundheitsminister Ahmed Dhamirijeh im syrischen Staatsfernsehen sowie die Rettungsorganisation Weißhelme, die in von Rebellen kontrollierten Gebieten des Landes arbeitet. 

Menschen versammeln sich um ein eingestürztes Gebäude in Pazarcik in der südtürkischen Provinz Kahramanmaras.
Menschen versammeln sich um ein eingestürztes Gebäude in Pazarcik in der südtürkischen Provinz Kahramanmaras. (© Uncredited/Depo Photos/AP/dpa)

In Syrien stürzten der staatlichen Nachrichtenagentur Sana zufolge in zahlreichen Städten Gebäude ein. Rettungsteams versuchten in der Nacht und im Morgengrauen, Menschen aus den Trümmern zu ziehen. Der Leiter des Nationalen Erdbebenzentrums Raed Ahmed sagte laut Sana, dies sei das stärkste Beben in Syrien seit 1995. Präsident Baschar al-Assad rief sein Kabinett zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen. Videos zeigten Trümmerberge unter anderem aus der Provinz Idlib, teils kollabierten ganze Häuserreihen.

„Wir reagieren mit allem, was wir können, um diejenigen zu retten, die unter den Trümmern liegen”, sagte der Leiter der Rettungsorganisation Weißhelme, Raed Al Saleh. „Die Krankenhäuser sind überlastet mit Schwerverletzten”, sagte ein Sprecher der Organisation. Regen und Kälte erschwerten die Einsätze zusätzlich. „Wir brauchen dringend die Hilfe der internationalen Gemeinschaft”, sagte Basel Termanini, Vorsitzender der Syrian American Medical Society (SAMS), der dpa. Die Lage sei „katastrophal”.

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In der Türkei stürzten mindestens 1700 Gebäude ein. Das Beben sei in zehn Provinzen zu spüren gewesen, sagte Vize-Präsident Oktay. Unter den eingestürzten Gebäuden sei neben Wohnhäusern auch ein Krankenhaus in der Stadt Iskenderun. In der Stadt Gaziantep wurde laut staatlicher Nachrichtenagentur Anadolu auch die Burg stark beschädigt. Sie ist ein Unesco-Weltkulturerbe.

Das Epizentrum der Erdbeben lag nahe der Stadt Gaziantep.
Das Epizentrum der Erdbeben lag nahe der Stadt Gaziantep. (© Soeren Stache/dpa)

Menschen in der Türkei wurden aufgerufen, wegen der Kommunikationsengpässe online zu telefonieren und nicht über das Handy-Netz, damit vorrangig Verschüttete erreicht werden können. Die Temperaturen in den betroffenen Gebieten liegen zurzeit oft im Minusbereich. An manchen Orten schneite es stark. Im Staatssender TRT war zu sehen, wie Menschen bei Schnee in der Stadt Iskenderun aus Trümmern befreit wurden. Auch aus den Städten Gaziantep, Sanliurfa, Osmaniye, Diyarbakir und Adana wurden Bilder gezeigt, auf denen Menschen teilweise in Decken gehüllt abtransportiert wurden.

Der türkische Halbmond rief die Bevölkerung zu Blutspenden auf. Die Katastrophenschutzbehörde Afad meldete 66 Nachbeben. Bilder in Diyarbakir zeigten, wie Helfer mit bloßen Händen versuchten, Schutt abzutragen, um Verschüttete aus einem eingestürzten Gebäude zu befreien. 

Auch im Libanon, der an Syrien grenzt, war das Erdbeben zu spüren. In der Hauptstadt Beirut verließen Anwohner teils fluchtartig ihre Häuser. Zu spüren war das Beben auch in Israel. Nach Angaben der israelischen Polizei gab es aber keine Verletzten oder Schäden. 

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan schrieb auf Twitter: „Wir hoffen, dass wir diese Katastrophe gemeinsam in kürzester Zeit und mit möglichst geringem Schaden überstehen.”

Humanitäre Hilfe aus dem Ausland

Griechenland erklärte sich trotz der schweren Spannungen mit der Türkei bereit, Rettungsmannschaften in das Erdbebengebiet zu schicken. Auch Israel will der Türkei humanitäre Hilfe leisten. Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant wies Armee und Verteidigungsministerium am Montag an, entsprechende Vorbereitungen zu treffen.

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte zu, Deutschland werde selbstverständlich Hilfe schicken. „Mit Bestürzung verfolgen wir die Nachrichten vom #Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion”, schrieb Scholz auf Twitter.

In Italien gab der Zivilschutz noch in der Nacht zu Montag eine Tsunami-Warnung aus, die wenige Stunden später zurückgenommen wurde. Die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bot der Türkei und Syrien Hilfe an. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg schrieb auf Twitter, die Nato-Partner der Türkei seien bereit, Unterstützung zu mobilisieren. Das Auswärtige Amt in Berlin mahnte zur Vorsicht und riet, sich an die Anweisungen der örtlichen Behörden zu halten.

Immer wieder Erdbeben in der Türkei

Die Türkei ist immer wieder von schweren Erdbeben betroffen. Dort grenzen zwei der größten Kontinentalplatten aneinander: die afrikanische und die eurasische. Der größte Teil der türkischen Bevölkerung lebt faktisch in ständiger Erdbebengefahr.

Bei einem der folgenschwersten Beben der vergangenen Jahre kamen im Oktober 2020 in Izmir mehr als 100 Menschen ums Leben. Im Jahr 1999 war die Türkei von einer der schwersten Naturkatastrophen in ihrer Geschichte getroffen worden: Ein Beben der Stärke 7,4 in der Region um die nordwestliche Industriestadt Izmit kostete mehr als 17 000 Menschen das Leben. Für die größte türkische Stadt Istanbul erwarten Experten in naher Zukunft ebenfalls ein starkes Beben.