Bereits im Frühjahr gab es Vorwürfe gegen "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt. Jetzt gibt es neue Medienberichte - und der Springer-Konzern zieht einen Schlussstrich.
BERLIN. Der Medienkonzern Axel Springer hat mit sofortiger Wirkung „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt von seinen Aufgaben entbunden. Das teilte das Unternehmen am Montag in Berlin mit. Hintergrund sind Recherchen anderer Medien, in deren Folge das Unternehmen „in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen“ habe, wie es in der Mitteilung heißt. Diesen Informationen sei das Unternehmen nachgegangen. Dabei habe der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss eines internen Prüfverfahrens im Frühjahr 2021 „Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat“.
Am Montag hatte zuvor eine Entscheidung der Geschäftsführung der Ippen-Mediengruppe für Schlagzeilen gesorgt. Diese hatte die Veröffentlichung einer Recherche zu vermeintlichem Machtmissbrauch bei Springer gestoppt. Darauf hatte das Team von Ippen Investigativ, das die Recherche vorgenommen hatte, mit einem Protestbrief reagiert, der auch im Netz kursiert. Die Berichterstattung zum Umgang mit Mitarbeiterinnen insbesondere durch „Bild“-Chefredakteur Reichelt und weiteren Missständen bei Springer sei für Sonntag geplant gewesen.
Reichelt bereits im März vorübergehend freigestellt
Auch die „New York Times“ berichtete am Wochenende über den Springer-Konzern. In dem langen Artikel geht es auch um dessen Pläne zur Übernahme der US-Mediengruppe Politico. Die US-Zeitung beruft sich in ihrem Text auch auf interne Springer-Untersuchungen, wonach Reichelt unter anderem eine Auszubildende befördert habe, mit der er eine Affäre gehabt haben soll. Bereits im März hatte der „Spiegel“ berichtet, dass rund ein halbes Dutzend Mitarbeiterinnen dem Medienhaus Vorfälle aus den vergangenen Jahren angezeigt hätten. Bei den Vorwürfen ging es auch um die Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen. Der Konzern prüfte intern die Vorwürfe, „Bild“-Chef Reichelt wurde vorübergehend freigestellt.
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Springer hatte dazu im März mitgeteilt: „Der Vorstand ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es nicht gerechtfertigt wäre, Julian Reichelt aufgrund der in der Untersuchung festgestellten Fehler in der Amts- und Personalführung – die nicht strafrechtlicher Natur sind – von seinem Posten als Chefredakteur abzuberufen. In die Gesamtbewertung sind auch die enormen strategischen und strukturellen Veränderungsprozesse und die journalistische Leistung unter der Führung von Julian Reichelt eingegangen." Nach der befristeten Freistellung kehrte Reichelt schließlich wieder zu Deutschlands größter Boulevardzeitung zurück.
Nachfolger soll Johannes Boie werden
Am Montagabend erklärte nun Springer-Chef Mathias Döpfner: „Julian Reichelt hat BILD journalistisch hervorragend entwickelt und mit BILD LIVE die Marke zukunftsfähig gemacht. Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei BILD gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich.“ Neuer Vorsitzender der dreiköpfigen Chefredaktion wird laut Springer-Mitteilung Johannes Boie (37), derzeit Chefredakteur der „Welt am Sonntag“.
Bevor er 2017 zu Axel Springer kam, hatte Boie unter anderem bei der „Süddeutschen Zeitung“ gearbeitet. Alexandra Würzbach bleibt Chefredakteurin der „Bild am Sonntag“ und verantwortlich für Personal- und Redaktionsmanagement. Claus Strunz ist weiterhin als Chefredakteur für das Bewegtbildangebot verantwortlich. „Mit Johannes Boie haben wir einen erstklassigen Nachfolger“, sagte Döpfner. „Er hat unter Beweis gestellt, dass er journalistische Exzellenz mit modernem Führungsverhalten verbindet.“
"Hinweise auf Machtmissbrauch, nicht auf sexuelle Belästigung"
Springer teilte mit, im Rahmen des internen Prüfverfahrens gegen Reichelt sei es nie um den Vorwurf sexueller Belästigung oder sexueller Übergriffe gegangen. „Es gab aber den Vorwurf einvernehmlicher Liebesbeziehungen zu BILD-Mitarbeiterinnen und Hinweise auf Machtmissbrauch in diesem Zusammenhang“, heißt es in der Mitteilung. Bewiesen und eingeräumt worden sei eine frühere Beziehung zu einer Mitarbeiterin von Bild, es sei aber umstritten, ob dieser Mitarbeiterin dadurch berufliche Vorteile gewährt wurde. „Eine klare Vorgabe, die den Umgang mit Verhältnissen unter Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Unternehmen explizit regelt, gab es bei Axel Springer wie bei den meisten deutschen Unternehmen nicht“, teilte das Unternehmen mit.
Fast alle damaligen Hinweisgeber hätten in dem internen Prüfverfahren auf Anonymität bestanden. Deshalb hätten die konkreten Vorwürfe und Protokolle der durch eine Kanzlei durchgeführten Befragungen Reichelt gegenüber nicht offengelegt werden können. Dieser habe sich „deshalb kaum gegen konkrete, sondern lediglich gegen abstrahierte Vorwürfe verteidigen können. Auch Axel Springer kannte maßgebliche Befragungsprotokolle auf Bitten von Zeugen nicht. Und diese liegen dem Unternehmen bis zum heutigen Tage nicht vor.“ Medien seien diese Dokumente jedoch „von dritter Seite rechtswidrig zugespielt“ worden.
„Im Kontext“ dieser Medienrecherchen seien Springer nun „seit einigen Tagen neue Anhaltspunkte für aktuelles Fehlverhalten von Julian Reichelt zur Kenntnis gelangt“. Der Vorstand habe erfahren, „dass Julian Reichelt auch aktuell noch Privates und Berufliches nicht klar trennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat. Deshalb hält der Vorstand jetzt eine Beendigung der Tätigkeit für unvermeidbar“. Gleichzeitig kündigte das Unternehmen an, rechtliche Schritte gegen Dritte einzuleiten, „die versucht haben, die Compliance-Untersuchung vom Frühjahr mit rechtswidrigen Mitteln zu beeinflussen und zu instrumentalisieren, offenbar mit dem Ziel, Julian Reichelt aus dem Amt zu entfernen und BILD sowie Axel Springer zu schädigen. Dabei geht es insbesondere um die verbotene Verwendung und Nutzung vertraulicher Protokolle aus der Befragung von Zeugen sowie die Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen und privater Kommunikation.“