Inzwischen sind die strengen Regeln zum Infektionsschutz in Hessen zwar gelockert worden. Von Normalität kann aber keine Rede sein. Die wirtschaftlichen Nachwirkungen sind enorm.
WIESBADEN/FRANKFURT. Die Schließung von Gaststätten, Geschäften, Schulen, Kitas und Friseursalons, dazu die rigorose Begrenzung persönlicher Kontakte - ab Mitte März verhängten Bund und Länder nach und nach bis dahin beispiellose Einschränkungen für Unternehmen und Bevölkerung. Das Ziel: den Corona-Erreger an der Ausbreitung zu hindern. Leere Straßen und verwaiste Innenstädte waren die Folge. Supermärkte durften nur noch mit Schutzmaske betreten werden, Desinfektionsmittel - und Klopapier - waren rasch ausverkauft. Drei Monate später machen zwar Lockerungen Leben und Wirtschaften wieder einfacher, doch die Folgen der Maßnahmen sind weiter unübersehbar. Ein Überblick über die aktuelle Lage.
Die Gaststätten und Hotels in Hessen blicken in eine ungewisse Zukunft. "Die Bilanz ist ernüchternd bis prekär", sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) Hessen, Julius Wagner. Seit 1. März mussten die Betriebe einer Umfrage zufolge Umsatzeinbußen von 73 Prozent im Vergleich zum Vorjahr verkraften. Im Außenbereich der Restaurants und Kneipen seien die Plätze inzwischen zwar wieder besetzt, Voraussetzung sei aber schönes Wetter. Innen sei die Auslastung "nicht annähernd wie früher". Bei den noch immer geschlossenen Clubs und Diskotheken stehe "das dickste rote Fragezeichen". Die staatlichen Hilfen seien sehr wichtig, um Insolvenzen zu vermeiden. Es gebe keine Messen, keine Kongresse, und bei Familienfeiern und Hochzeiten noch viel Unklarheit, wie sich diese organisieren ließen.
Immer noch viel Kurzarbeit
Auch andere Betriebe und Unternehmen haben schwer zu kämpfen, darunter der Frankfurter Flughafen, der nur noch einen Bruchteil seiner Fluggäste abfertigen kann - und mit ihm Luftfahrtunternehmen wie die Lufthansa. In der hessischen Metall- und Elektro-Branche bezeichneten zuletzt 43 Prozent der Firmen ihre Geschäftslage als schlecht, wie eine Umfrage des Arbeitgeberverbands ergab. Neun von zehn Branchenfirmen mussten demnach ihre Produktion einschränken. Im Schnitt erwarteten die Unternehmen einen Umsatzrückgang von 26 Prozent im laufenden Jahr. Die Lage sei schlecht, sagte Hessenmetall-Hauptgeschäftsführer Dirk Pollert. Die Unternehmen setzen auf Kurzarbeit und nutzen flexible Arbeitszeitregelungen. Der Verband erwartet jedoch, dass die Pandemie viele Stellen bei Zeitarbeitern kostet.
Auch in vielen anderen Branchen wie etwa im Friseurhandwerk sind die Folgen der Krise weiter spürbar. "Die Zeiten sind ja jetzt besonders und auch sehr gespenstisch teilweise, weil die Leute haben Angst voreinander", sagt etwa Hatice Nizam, Betreiberin des Friseursalons "Haarwerk" im Frankfurter Grüneburgweg. Deshalb hat sie in dem Salon beispielsweise Trennwände anbringen lassen. Acht Wochen lang habe es während des Lockdowns keine Einnahmen gegeben, sagt Nizam. "Das kann man nicht so einholen."
Auch Kommunen sind schwer betroffen
Mit erheblichen Schäden rechnet der Hessische Städtetag mit Blick auf die Finanzen der Kommunen. Der geschäftsführende Direktor Jürgen Dieter verweist auf Steuerausfälle - die Gewerbesteuer sei "desaströs" betroffen -, auf zusätzliche Ausgaben und Belastungen im Sozial-, Kita-, Freizeit- oder Kulturbereich. Hauptungewissheit sei, "dass wir nicht sagen können, wie die wirtschaftliche Entwicklung sein wird und daran hängen ja auch unsere Steuern". Laut einer Anfang Juni veröffentlichten Umfrage des Bunds der Steuerzahler Hessen rechnen rund 60 Prozent der befragten größeren Städte mit Gewerbesteuerausfällen von mindestens einem Viertel. Rund 13 Prozent erwarteten sogar Ausfälle von mehr als 50 Prozent.
Stark eingeschränkt wurden auch die Möglichkeiten, sich in der Freizeit zu beschäftigen. Der Besuch von Sportanlagen und Schwimmbädern war lange untersagt, auch Spielplätze wurden gesperrt. Mittlerweile kehrt wieder mehr und mehr Normalität ein. Jüngst öffneten wieder Badeseen, Saunen und Schwimmbäder - unter Auflagen. Volle Liegewiesen und Pools soll es nicht geben, die Besucherzahlen sind beschränkt. Auch Badegäste müssen den Sicherheitsabstand von 1,5 Meter wahren. Einige Schwimmbäder bieten bestimmte Zeitfenster an und desinfizieren dazwischen ihre Anlagen. Das Verbot von Zuschauern bei Sportgroßveranstaltungen haben Bund und Länder dagegen verlängert; Fans müssen sich vorerst weiter mit Geisterspielen zufrieden geben.
Entwicklung in der Kulturszene hängt sehr von weiteren Lockerungen ab
Geschlossene Theater, Opern und Konzerthäuser stürzten die Kulturszene in Existenznot. Der Staat hilft, alleine Hessen gibt 50 Millionen Euro. Die Künstler suchen zudem nach neuen Wegen, ihr Publikum zu erreichen, etwa über das Internet. Das renommierteste Theater-Festival Hessens, die Bad Hersfelder Festspiele, wurde zwar abgesagt. Aber ein kleines Ersatzprogramm wird es an fünf Wochenenden dennoch geben (17. Juli bis 16. August.) Auch der Kultursommer Südhessen geht mit einem abgespeckten Programm an den Start. Die Zeiten sind schwer. "Derzeit können Insolvenzen verschleppt werden", sagt der Sprecher des Verbandes der Freien Theatermacher Hessens, laPROF, Jan Deck. Die Entwicklung hänge von weiteren Lockerungen ab. "Wenn das so bleibt wie jetzt, wird das für einige sehr, sehr schwer." Besonders Solo-Selbstständige und komplett privat geführte Betriebe könne es hart treffen.
In kaum einem Bereich gibt es so viel öffentlichen Streit um die Einschränkungen wie hier: Ob, wann und wie Kitas und Schulen wieder zum Regelbetrieb übergehen, ist besonders für berufstätige Eltern eine sehr wichtige Frage. Schüler werden derzeit nur wechselweise in Gruppen und nicht in der ganzen Klasse unterrichtet. Nach den Sommerferien Mitte August soll es wieder regulären Unterricht geben - je nachdem, wie die Pandemie sich entwickelt. Die Grundschulen bieten bereits von diesem Montag an wieder regulären Unterricht wie vor Beginn der Corona-Pandemie an, für die Kinder gilt dann kein Abstandsgebot mehr.
Von dpa