Tosendes Licht - Probenstart der Nibelungenfestspiele

Die Leseprobe zu den Niebelungenfestspielen vor dem Nibelungen-Teppich im oberen Theater-Foyer. Foto: BilderKartell/Ben Pakalski

Bei der Leseprobe zu den Wormser Nibelungenfestspielen wird ein erster Eindruck vom Stück „Überwältigung“ vermittelt. Wie wirkt die Inszenierung?

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WORMS. „Ein Kreischen im Kopf, ein Dröhnen im Raum – wir kommen. Das Tosen des Lichts, mit donnerndem Schritt, zum Helden-Bett.“ Der Chor macht den Anfang und sorgt für düstere Untergangsstimmung. Weil der Chor aus ambitionierten Laien aber noch gar nicht beim Probenstart dabei ist, übernehmen das die Schauspieler des Ensembles kurzerhand im Kollektiv selbst, singen zwar nicht, aber sprechen den Text. Bis Ortlieb (Lisa Hrdina) ruft: „Nein, nein, nein! Zieht mich hier raus! Wer gibt euch das Recht, mich zu töten? Ihr euch selbst? Die Götter? Das Schicksal? Ich spucke auf Euer Schicksal. Das ist kein Schicksal, nein, das seid ihr selbst und habt mich auf dem Gewissen! Das Leben eines Kindes, das noch keine Zukunft hatte.“

Als Zuhörer – die ersten zehn Minuten der üblichen Leseprobe zu Beginn der Probenzeit durften Journalisten noch dabei sein – denkt man sofort an Greta Thunberg oder an den Youtuber „Rezo“, die den „Erwachsenen“ die Leviten lesen, weil sie ihre Zukunft zerstören. Diese Bilder dürfen gerne im Kopf des Zuschauers entstehen, sagen Autor Thomas Melle und Regisseurin Lilja Rupprecht. Das grundsätzliche Thema des Stückes sei ja zeitlos aktuell, merkt Autor Melle an.

Der Spielmann (Edgar Eckert) ist es, der zu Beginn gleich sagt, was sich Melle mit seinem Stück vorgenommen hat: „Was haben wir getan? Leichen, Leichen, immer nur Leichen, Leichen. Wir müssen die Geschichte neu erzählen! Besser erzählen, anders erzählen. Das Kind soll leben und wir auch. Springen wir mit einem Wimpernschlag ganze Jahrzehnte zurück.“ Dann also kann alles von vorne beginnen und die Frage von Ortlieb verhandelt werden: Ist alles vom Schicksal vorgegeben?

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„Ich bin sehr gespannt, was daraus wird“

Regisseurin Rupprecht hört sich die Leseprobe sehr konzentriert an – und an ihrem lachenden Gesicht ist abzulesen, dass es ihr gefällt. Auch Autor Thomas Melle freut sich erkennbar, sein Stück jetzt gesprochen zu hören. „Ich bin sehr gespannt, was daraus wird“, hatte er zur Begrüßung des Teams gesagt. Schließlich liege das Buch zu „Überwältigung“ seit eineinhalb Jahren „in unserem Leben“, stimmt sich auch Rupprecht auf die nun beginnenden Proben ein. Zuerst werden diese im Mozartsaal stattfinden, in drei Wochen schon soll es raus an den Dom gehen.

Auf den habe sie sich total gefreut, sagt Lilja Rupprecht, die das Stück im vergangenen Jahr gesehen hatte. Dieses „Ungetüm“ soll nicht nur die Rückwand eines Theaterraumes sein, sondern Partner. Ob es wieder so spektakulär wird wie 2018, als die Fratzen aus dem Mauerwerk hervorkamen? Details werden natürlich noch keine verraten, aber es werde dem Titel entsprechend schon „Überwältigungs-Theater“ mit großen Bildern, sagt Rupprecht. Einen Drachen wird es auch geben, aber auch hier wird noch nicht verraten, welche Form, welches Aussehen er haben wird, oder ob er vielleicht Imagination bleibt. Nur so viel sagte Melle dazu: Er wird eine Art Leitmotiv sein, und verschiedenen Figuren des Stücks als Projektionsfläche dienen. Ansonsten will er den Drachen aber vorerst bewusst im Unscharfen lassen. Das Publikum soll noch staunen dürfen.

Das Team trifft sich bei der Leseprobe zum ersten Mal

Es ist nicht nur für Kamerateams, Radio-Leute und schreibende Zunft ein Kommen und Gehen im Theater an diesem Vormittag. Auch das Team selbst kommt ja zum ersten Mal so zusammen, es gibt viele Hallos, Umarmungen, Bussi hier, Bussi da. Ein „Star“ dieses Vormittages war allerdings nicht angekündigt, es ist „Liselotte“. Inga Busch hat sie mitgebracht und darf immer wieder erklären, dass es ein Labradoodle ist, also eine Kreuzung zwischen Labrador Retriever und Großpudel. Die Leseprobe allerdings nimmt Lieselotte am Boden liegend und dösend eher hin.

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„Magst du Drachen, Ortlieb?“, fragt der Spielmann und Ortlieb antwortet: „Echte Drachen? Die Feuer spucken? Und mit denen ich durch die Himmelsbögen sause? Ich liiieeebe Drachen.“ Damit ist der öffentliche Teil der Leseprobe beendet und man kann nur noch erahnen: Der Drache wird den Jungen wohl an den Anfang der Geschichte bringen. Vielleicht erfüllt sich ja Ortliebs Wunsch: „Ich will nicht sterben, hört ihr? Ich bin ein Kind und hab ein Anrecht auf mich selbst. Ich hatte noch gar kein Leben und trotzdem nehmt ihr es mir. Wenn ihr sterben wollt, dann bitte. Aber lasst mich leben.“