Bei Nibelungen-Festspielen in Worms spielt Mehmet Kurtulus den König Etzel
Quittierte nach sechs Folgen Tatort den Dienst: Mehmet Kurtulus Foto: Ege Islek
( Foto: Ege Islek)
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WORMS - Er hat in Hollywood an der Seite von Samuel L. Jackson gedreht, verkörperte Tatort-Kommisar Cenk Batu und kehrt bei den Nibelungen-Festspielen nun zu seinen Wurzeln im Theater zurück: Mehmet Kurtulus. Der Schauspieler übernimmt in „Glut. Siegfried von Arabien“ die Rolle von Scheich Omar, dem König Etzel des Stücks. Die WZ hat mit Kurtulus über sein Engagement in Worms gesprochen.
Herr Kurtulus, Sie spielen König Etzel, wie hart und brutal sind Sie in dieser Rolle?
König Etzel ist überhaupt nicht ätzend (lacht).
Ihr Etzel wird also nicht an den Hunnenkönig Attila erinnern?
Man muss in diesem Zusammenhang wissen, dass die Figuren im Nibelungenlied alle zusammengesetzt sind. Das trifft auch auf König Etzel zu, der im Stück Scheich Omar heißt. Etzel ist eine Zusammensetzung aus Attila und Stephan I., König von Ungarn. Scheich Omar steht eher Stephan I. näher als Attila. Ich bin sehr glücklich darüber – und dass Albert Ostermaier so ein fantastisches Stück geschrieben hat, sehr intelligent und sehr reichhaltig.
Warum sind Sie mehr Stephan als Attila?
Attila wird im Nibelungenlied eher als Außenkonstruktion König Etzels beschrieben. Stephan I. bedient mehr seine emotionale Welt, das heißt, es kommt hier eher seine Weitsicht und Gutmütigkeit zum Tragen. Aber mehr wird zum jetzigen Zeitpunkt wirklich nicht verraten (lacht).
ZUM STÜCK
Das Stück „Glut. Siegfried von Arabien“, das Albert Ostermaier geschrieben hat, feiert am 4. August Premiere bei den Nibelungen-Festspielen.
„Glut“ beruht auf einer historischen Begebenheit. 1915 zieht das deutsche Kommando Klein in den Orient. Es ist in geheimer Mission unterwegs, um in Persien britische Ölfelder zu sprengen.
Weitere Infos gibt es unter www.nibelungenfestspiele.de.
ZUR PERSON
Mehmet Kurtulus wurde 1972 in der Stadt Usak in der Türkei geboren. Als er zwei Jahre alt war, kam er mit seiner Familie nach Deutschland.
Seine Karriere begann mit Theaterengagements an den Hamburger Kammerspielen und am Theater am Kurfürstendamm in Berlin.
In Fatih Akins Spielfilm „Kurz und Schmerzlos“ gelang Kurtulus 1998 der Durchbruch. Er wurde mit dem „Bronzenen Leoparden“ bei den Internationalen Filmfestspielen in Locarno, dem „Golden Alexander“ der Internationalen Filmfestspiele Thessaloniki und dem Grimme-Preis ausgezeichnet. Später koproduzierte Kurtulus Akins preisgekrönten Film „Gegen die Wand“.
Im Herbst 2008 trat Kurtulus seinen Dienst als Kriminalhauptkommissar Cenk Batu im Hamburger Tatort an, für diese Rolle erhielt er seinen zweiten Grimme-Preis. Nach sechs Folgen quittierte Kurtuls 2011 seinen Dienst.
Seitdem war der Schauspieler in diversen internationalen Filmproduktionen zu sehen, stand aber in Shakespeares „Othello“ am Alten Schauspielhaus in Stuttgart auf der Bühne.
Nur noch eins: Ihr Etzel muss nicht singen?
Nein, Etzel muss nicht singen. Kein Wagner jedenfalls. Er wird ein bisschen singen, aber daran arbeite ich noch.
Das Stück heißt „Glut. Siegfried von Arabien“ und spielt in der Wüste. Können Sie verstehen, wenn sich Leute fragen, was das noch mit den Nibelungen zu tun hat?
Liebe, Hass, Rache, all diese Gefühle teilen alle Menschen. Wenn man die Dramaturgie des Stücks sieht, mit den Figuren und ihren Absichten, dann ist das, was passiert, das Nibelungenlied. Wir versetzen nur Ort und Zeit. Die historischen Figuren werden durch aktuelle Identitäten angereichert und die politische Brisanz ins Heute übertragbar gemacht.
Sie haben von 2008 bis 2011 im „Tatort“ den verdeckten Ermittler Cenk Batu gespielt, in Glut geht es auch um eine verdeckte Operation ...
Die Operation wird aber diesmal nicht von mir geleitet, sondern ich bin das Ziel der Operation, alle haben ihre eigenen Interessen und wollen das bei mir am Hofe austragen. Das Nibelungenlied gilt als brutaler Thriller seiner Zeit.
Sie sind damals nach sechs Folgen aus dem Tatort ausgestiegen. Wollten Sie loskommen vom Image als Kommissar?
Loskommen war nicht mein Motiv. Der Tatort ist sowohl finanziell als auch im Sinne der Sichtbarkeit eine gute Absicherung. Man braucht Mut, ihm den Rücken zu kehren. Der Schauspieler ernährt sich von Unsicherheit. Heißt: Sicherheit ist etwas ganz Tolles, aber für den Künstler ist es manchmal kontraproduktiv, weil sie betäubt. Es war für mich eine tolle Gelegenheit, sechs Tatorte zu machen, und ich bin dem NDR sehr dankbar für diese Chance. Aber ich wollte meine Flügel wieder ausbreiten und meiner Neugierde folgen. Deshalb sehe ich es als Luxus, den freien Fall erleben zu können. Es setzt neue Energien frei.
Haben Sie Ihr Glück gefunden?
Ich habe dem Leben vertraut und wurde im Anschluss mit Big Game, einem Projekt mit Samuel L. Jackson, belohnt, das war fantastisch, aber nicht kalkulierbar. Letztes Jahr habe ich zum Beispiel einen türkisch-französischen Kinofilm gedreht, Clair-Obscur von Yesim Ustaoglu, der in diesem Jahr in Deutschland in die Kinos kommt, und vor einigen Wochen die Dreharbeiten zu Lady Winsley von Hiner Saleem, einem französischen Film, abgeschlossen, auf den wir uns nächstes Jahr freuen können.
Halten Sie sich für einen sehr mutigen Menschen?
Mut brauchen wir alle, vor allem in den heutigen Zeiten. Die Welt ist politisch in keinem guten Zustand. Menschen zu begegnen, die einem nicht nur vorbeten, was schon bekannt ist, sondern Menschen, die mutig genug sind, auch mal Seitenstraßen zu nehmen und Neues zu entdecken, um damit unser aller Leben zu bereichern, das macht für mich das Leben aus. Es entspricht meiner Berufsauffassung, Menschen mit meiner Arbeit zu inspirieren und ihnen Hoffnung zu geben.
Inwieweit können Schauspieler dies leisten – Menschen Hoffnung geben?
Wir sind keine Politiker, ich arbeite für keine Organisation oder für Vereine, ich arbeite ausschließlich für die Menschlichkeit. Die Chance, die wir als Schauspieler haben, wäre, Gesellschaftspolitik zu betreiben; wir können Menschen beeinflussen und Zeichen setzen. Das können wir mit unserer Rollen- beziehungsweise unserer Projektauswahl beeinflussen, indem wir Themen in die Öffentlichkeit tragen.
Der Orient, in dem das Stück spielt, ist weltpolitisch gesehen eine besondere Region. Können Sie in Ihrer Rolle als Etzel gesellschaftspolitisch wirken?
Glut trägt mit Sicherheit dazu bei. Wenn man ein urdeutsches Kulturgut 1915 in die Wüste verlegt und sagt, dass man ein aktuelles, hochbrisantes und moderndes Stück inszeniert, dann wird einem klar, wie vernetzt die heutige Welt ist und vor allem die Ursprünge in der Geschichte liegen.
Sie sind in der Türkei geboren. Wie schätzen Sie die aktuelle Situation dort ein?
Ich sehe einige Punkte sehr kritisch und kann nur dazu aufrufen, sich ausreichend zu informieren. Wissen ist Macht. Und das wird in diesen Tagen sehr deutlich. Egal, ob wir nach Ankara oder nach Washington schauen. Positive Entwicklungen machen sich in Frankreich deutlich. Die Wahl Emmanuel Macrons sehe ich als Chance für Europa und darüber hinaus.