Starkes Übergewicht: „Das ist die kommende Volkskrankheit”

Mehr als 200 Kilogramm auf der Waage? Patienten mit einem solchen Körpergewicht sieht das Adipositaszentrum immer häufiger.

Zu dieser Jahreszeit gibt es eine Welle von Anfragen im Adipositaszentrum der Wiesbadener Paulinenklinik. Dort sieht man vermehrt Patienten mit einem Gewicht über 200 Kilogramm.

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Wiesbaden. Es ist jetzt ungefähr die Zeit im Jahr, in der sich die Anfragen im Wiesbadener Adipositaszentrum der Asklepios-Paulinenklinik (APK) besonders häufen. Es melden sich Patientinnen und Patienten, die stark übergewichtig sind und daran etwas ändern wollen. Im neuen Jahr, so vermutet es der Leiter des Zentrums, Prof. Martin Hoffmann, fassen sich viele Menschen diesen guten Vorsatz – um dann zu merken, dass es alleine einfach nicht klappt. „Und so beginnt die Welle bei uns dann Ende Januar, Anfang Februar.“

Doch wer gilt eigentlich als übergewichtig? Um das festzustellen, wird meist der Body-Mass-Index (BMI) herangezogen. Ab einem BMI von 25 gilt ein Erwachsener als übergewichtig, ab 30 als adipös, also stark übergewichtig. Spätestens ab einem BMI von 35, erklärt der Mediziner, sollte man sich dringend professionelle Hilfe suchen. Denn auf das hohe Gewicht folgen weitere Probleme wie Bluthochdruck und Diabetes, die dann wiederum das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko steigern. Das Risiko, an Krebs zu erkranken, sei teils um das zehnfache erhöht. Adipositas – das sei „die kommende Volkskrankheit”.

Im Adipositaszentrum der APK, das 2018 gegründet wurde, sieht das Team immer mehr Patienten, deren Gewicht über 200 Kilogramm liegt, sagt Hoffmann – auch im jüngeren Alter. Wie ein Patient Mitte 20, der zu der Sprechstunde in einem Elektrorollstuhl kam. Durch die Adipositas hatte er chronische Schmerzen in Rücken und Füßen. Das Gewicht belastet den Körper. Das führt zu Schmerzen. Und wegen der Schmerzen bewegen sich Betroffene dann immer weniger. „Es ist ein Teufelskreis.“

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Aktuell gilt ein Viertel der deutschen Erwachsenen als stark übergewichtig. In den USA sei der Anteil deutlich höher, berichtet der Arzt. „Wir hinken den Amerikanern immer um etwa zehn Jahre hinterher. Das wird sich hier also genauso entwickeln.“ Mit Folgen – nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für den Arbeitsmarkt. „Es ist eine Pandemie, bei der aber kein Ende in Sicht ist.“

„Wir hinken den Amerikanern um etwa zehn Jahre hinterher”

Doch was sind die Gründe dafür? „Es gibt Faktoren, die veranlagt sind“, erklärt Hoffmann. Einen großen Einfluss habe aber auch, wie Menschen in der Kindheit geprägt werden. „Wie gegessen und wie gekocht wird.“ Wird zum Beispiel immer Brot zum Essen gereicht, nimmt man viele Kohlenhydrate zu sich. Ein „Riesenproblem“ seien auch Produkte wie Chips und Cola. Und das Essen vor dem Fernseher oder Handy. „Weil Essen so kein bewusster Prozess mehr ist: mit Anfang und Ende.“ Was gesundes Essen ausmacht – das vermittelten viele Schulen und Kitas bereits. „Aber der familiäre Background ist entscheidend. Wie wird diese Ernährung unterstützt?“

Für Menschen, die stark übergewichtig sind, ist das oft mit Scham und sozialem Stigma verbunden, weiß Hoffmann. Wer es schafft, aus dem Haus zu gehen, erlebt Blicke von Mitmenschen, teils auch dumme Sprüche. Diese Patienten müsse man „vorsichtig abholen”, erklärt er. Deshalb bietet das Adipositaszentrum regelmäßig anonyme Online-Informationsveranstaltungen an, die gut besucht seien. Viele kämen danach in die Sprechstunde. Dort gibt es für diese Patientengruppe ein eigenes Wartezimmer.

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Ein weiterer Grund, aus dem sich viele Betroffene nicht zum Arzt trauen, ist, dass sie glauben, sie müssten dann operiert werden, erklärt Hoffmann. Doch: „Wir sehen 550 Patienten im Jahr, davon werden nur etwa 140 operiert. Für die meisten reicht ein konservatives Verfahren.” Oft sei eine Ernährungsberatung der erste Schritt. „Und wir ermutigen zu zwei Stunden körperlicher Betätigung in der Woche. Nur so ist ein dauerhafter Gewichtsverlust möglich.” Eine OP, bei der der Magen verkleinert wird, komme nur in bestimmten Fällen in Betracht. Bei einem sehr hohen BMI über 50 etwa. Sind alle Voraussetzungen dafür erfüllt, zahle das die Krankenkasse. Die Heilungsrate nach der OP sei „sehr hoch”, auch was Begleiterkrankungen wie Diabetes angeht.

In Zukunft, sagt Hoffmann, wird die Patientenzahl weiter steigen. „Den Bedarf müssen wir abdecken und stellen dafür weiter Mitarbeiter ein.” Grundsätzlich sei die Region - mit weiteren Zentren in Offenbach und Frankfurt - aber gut versorgt.