Die berührenden, manchmal auch kuriosen Geschichten hinter den Nachrichten erzählt der „heute“-Moderator zur Eröffnung des neuen Semesters der Wiesbadener Volkshochschule.
WIESBADEN. Als Moderator der „heute“-Sendung um 19 Uhr fasst Christian Sievers die internationalen Ereignisse des Tages zusammen. Oft sind das Nachrichten, hinter denen große, berührende, manchmal auch kuriose Geschichten stehen. Von ihnen erzählt der ZDF-Journalist in seinem Buch „Grauzonen“. Zur Semestereröffnung der Wiesbadener Volkshochschule (VHS) stellt er diese Geschichten am Montag, 2. September, um 19 Uhr im Stadtverordnetensaal des Rathauses vor.
Herr Sievers, Sie packen im Normalfall das aktuelle Weltgeschehen in 20-minütige „heute“-Sendungen. Wann entstand die Idee, die Geschichten hinter den Meldungen zu sammeln und aufzuschreiben?
Es gibt diesen alten Fernsehnachrichten-Spruch: „Und bist du noch so fleißig, es werden nur 1:30.“ Daran sieht man schon: Wir haben nie genug Zeit. Und es gibt so viele Anekdoten aus der Welt hinter den Kulissen, die ich dann Freunden erzähle, aber die es nie ins Fernsehen schaffen. So entstand die Idee zu diesem Buch. Dazu kommt: Die Arbeit von Journalisten wird gerade sehr genau beobachtet und bewertet, und da ist es vielleicht nicht verkehrt, mal ein bisschen aus dem Alltag zu plaudern und zu zeigen, wie wir arbeiten.
Sie beleuchten in Ihrem Buch „Grauzonen“ die Welt zwischen sehr gegensätzlichen Polen: Hier die dramatische Neuigkeit, die ihren Weg ins Fernsehen findet, da das alltägliche Leben von Menschen, die in einem anderen Kulturkreis versuchen, auch in Krisen zu überleben. Setzt Ihr Buch auch diesen Menschen ein Denkmal?
Das wäre schön. Denn gerade in Regionen, die häufig als „Krisengebiete“ abgetan werden, treffen sie so viele beeindruckende Menschen, die ihr Leben unter schwierigsten Bedingungen meistern, und dabei immer noch offen sind für ein Lachen und für ganz viel Gastfreundschaft – auch gegenüber einem TV-Team aus dem fernen Germany. Ich werde nie vergessen, wie eine Familie im jordanischen Flüchtlingslager, die wirklich alles verloren hatte, uns in ihrem kleinen Zelt unbedingt mit Tee und Gebäck bewirten wollte. Das macht einen auch demütig. Man sieht die Probleme hier in Deutschland plötzlich viel gelassener.
Sie waren fünf Jahre lang Auslandskorrespondent des ZDF im Nahen Osten. Was hat Sie in dieser Zeit besonders beeindruckt?
Oh, da gibt es wahnsinnig viel: Die Macht der Sonne, die Frische der Speisen, das kurz angedeutete Hupen im Straßenverkehr, das nicht als Ermahnung daherkommt, sondern als kleiner Anstupser: Hier komm ich! Und vor allem: Die Art, wie die Menschen miteinander umgehen. Laut und hitzig auf den ersten Blick. Warmherzig und humorvoll auf den Zweiten. Überhaupt: Dieses Augenzwinkern im Alltag! Regeln sind schon wichtig, aber wirklich lebenswert wird es erst, wenn wir auch mal Fünfe gerade sein lassen.
Und welche Vorurteile haben Sie durch die Erfahrungen, die Sie dort gemacht haben, über Bord geworfen?
„Spirale der Gewalt.“ Die Floskel ist ärgerlich. So einfach ist es halt nicht. Das ist kein Konflikt auf Autopilot. Es gibt immer konkrete Auslöser: militärischer, politischer, oft auch wirtschaftlicher Art. Und die allermeisten Menschen wollen einfach nur in Frieden leben. Es gibt eben kein Schwarz-weiß, sondern viele Grauzonen. Das zu zeigen ist Aufgabe von guten Reportern.
Bei Großereignissen waren Sie häufig als Krisenreporter vor Ort – sowohl bei den Terroranschlägen vom 11. September als auch bei der Tsunami-Katastrophe. Wie schafft man es, mit solchen Eindrücken journalistisch professionell und nicht emotional umzugehen?
Es gibt Momente, da kommen Tränen. Wenn ein Vater auf den Trümmern seines Hauses steht und Ihnen berichtet, wie da unten seine Kinder begraben liegen. Das haut einen um. Aber Thema in den Nachrichten sollte aus meiner Sicht nie das Befinden des Reporters sein. Wir haben den roten Reisepass und das Rückflugticket in der Tasche. Wir berichten über die Story, wir sind sie nicht selbst.
Sie sind vor der letzten US-Wahl durch die Vereinigten Staaten gereist und porträtieren in Ihrem Buch ein Land, das viel mehr hinter Donald Trump steht, als wir es uns in Europa vorstellen können. Glauben Sie, dass das immer noch so ist? Und dass die Wahl das bestätigen wird?
Amerika ist ein unfassbares Land. Alles ist größer, weiter, wilder. Das merkt jeder, der dort mal drei Tage lang immer nur geradeaus gefahren ist. Und das gilt auch für die Politik.
Donald Trump trifft den Nerv einer bestimmten Wählergruppe. Menschen, denen diese Welt zu kompliziert erscheint und die sich nach einfachen Lösungen sehnen. Ob die wirklich erfolgreich sind, ob der Mann im Weißen Haus die Wahrheit sagt, ist für sie dabei nebensächlich.
Ich glaube, das größte Risiko für Trumps Wiederwahl ist er selbst.
„Im Ausland lernt man Deutschland lieben“, schreiben Sie in Ihrem Buch. Was haben Sie am meisten vermisst, wenn Sie in der Ferne sind?
Das Wasser aus dem Hahn. Sie glauben gar nicht, was für ein Privileg das ist, einfach so lostrinken zu können. Und zu wissen: Das ist frisch und klar und gesund.
Das Interview führte Birgitta Lamparth.