Das Wiesbadener Beratungsunternehmen CDS will so seine Beschäftigten halten und neue gewinnen. Was sagt die IHK dazu?
Wiesbaden. Vier-Tage-Woche, Homeoffice im Ausland und „unbegrenzter Urlaub“ – was sich wie ein Wunschtraum gestresster Arbeitnehmer anhört, wird bei CDS Peter Griese GmbH gerade Wirklichkeit. Auch andere Wiesbadener Unternehmen sind kreativ, um auf dem knappen Markt, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten.
Work-Life-Balance hat immer höheren Stellenwert
CDS sitzt in Nordenstadt und unterstützt „Wirtschaftsprüfer und Steuerberater auf dem Weg zur Digitalisierung“. „Wir wollen gerne unseren Kolleg:innen mehr Freizeit gönnen und natürlich attraktiv für Bewerber sein. Insbesondere, da Work-Life-Balance einen immer höheren Stellenwert hat“, nennt Prokurist René Maier die Beweggründe für das Projekt „Arbeitsplatz der Zukunft“. Zum 1. Januar sind die bisherigen 28 Urlaubstage Geschichte. Stattdessen kann sich jeder so viel bezahlten Urlaub nehmen, wie er oder sie will. Die einzige Regel sei: Jeder der 20 Beschäftigten muss seinen gesetzlichen Pflichturlaub nehmen, also 20 Tage. „Ansonsten haben wir ausreichend Vertrauen in alle, dass es gerecht bleibt“, sagt Maier.
Zum 1. November wurde die Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 Stunden herabgesetzt. Sie sollen an vier Tagen à neun Stunden abgeleistet werden. Die Beschäftigten bewerteten den Vorstoß sehr positiv: „Alle freuen sich darauf, mehr Freizeit zu haben.“ Außerdem sei es nachhaltig, weil weniger Fahrten zum Arbeitsplatz gemacht werden. Und wenn jemand, etwa weil er kleine Kinder hat oder Angehörige pflegt, lieber kürzer an fünf Tagen arbeiten will? „Wichtig ist für uns, dass eine Kommunikation stattfindet“, sagt Maier. „Wir können jedes Modell besprechen und finden eigentlich immer eine Lösung. Auch für Werksstudenten oder unsere dualen Studenten.“
„Workation“ - Arbeiten an einem schönen Urlaubsort
Ein Bonbon sind außerdem 15 Tage im Jahr, die die Beschäftigten an einem von ihnen gewählten Ort, also auch aus dem Ausland arbeiten können. Diese „Workation“-Idee, also Arbeiten an einem schönen Urlaubsort, sei aus den Reihen der Mitarbeiter gekommen: „Es haben uns zwei Kollegen angesprochen, ob sie nicht zwei Wochen eine Finca mieten können und von dort arbeiten.“ Homeoffice biete CDS ohnehin an. „Aber grundsätzlich haben wir es lieber, wenn die Kolleg:innen im Büro sind“, sagt Maier. Und die meisten wollten das auch.
Sorgen, dass es mit der großen Freiheit schiefläuft, gebe es eigentlich nicht. „Wir haben viele Studien gelesen, bei denen es funktioniert hat, gerade in nördlichen Ländern.“ Es gebe auch einen Austausch mit Unternehmen außerhalb des Rhein-Main-Gebiets.
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) begrüßt den Ansatz der Nordenstadter Firma. „Viele Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen, ihre Mitarbeiter:innen zu binden und neue Fachkräfte zu finden“, berichtet der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Friedemann Götting. Bei den Beratungsgesprächen werde allerdings klar, dass nicht jede Idee für alle gleich geeignet ist. So könne etwa ein IT-Dienstleister örtlich flexible Arbeitsplätze anbieten, eine Einzelhändlerin in der Innenstadt nicht. „Unsere Aufgabe als IHK sehen wir deshalb darin, Unternehmen zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu finden. Dazu bieten wir unsere Netzwerke zum Austausch an. Zudem beraten wir zu den rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Rahmenbedingungen neuer Arbeitsformen“, sagt Götting.
Ein Wiesbadener Unternehmen, das ebenfalls neue Wege gehe, ist Seibert Media mit Büros in der Innenstadt. Es hat 275 Mitarbeitende und ist im Bereich Softwareentwicklung und Beratung tätig. „Wir verstehen uns als agiles Unternehmen mit flachen Hierarchien und verteilter Führung“, sagt Jan Saathoff, zuständig für die Organisationsentwicklung. Das setze ein hohes Maß an Selbstorganisation der Beschäftigten voraus. Ein Mitarbeiter habe etwa die Einführung eines Jobtickets vorgeschlagen. „Um die Umsetzung hat er sich dann selbst gekümmert“, berichtet Saathoff.
Arbeitszeitmodelle je nach den Bedürfnissen
Bei Seibert Media gebe es viele individuelle Arbeitszeitmodelle je nach den Bedürfnissen. „Wir nehmen die Work-Life-Balance ernst, aber das Ganze soll selbstbestimmt erfolgen“, sagt Saathoff. Jeder könne seine Arbeitszeit frei einteilen. Weil man Kunden Rechnungen schreiben muss, gibt es eine Arbeitszeiterfassung. Überstunden werden ausgezahlt oder es gibt einen Freizeitausgleich. „Wenn Leute mehr Urlaub machen wollen, können sie Minusstunden machen“, erklärt Saathoff. Dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch mal von der Algarve aus arbeiteten, sei normal.
„Wir gehen einfach davon aus, dass alle Kolleginnen und Kollegen sich für das Unternehmen einsetzen wollen“, sagt Saathoff. Und es funktioniert offensichtlich: Es laufe so gut, dass die Gehälter weiter erhöht werden können. Das „rollenbasierte“ Gehaltssystem werde fortlaufend optimiert. Weniger nachgefragt ist dagegen zurzeit das Bällebad. „Am Anfang haben wir dort manchmal Meetings veranstaltet oder Mitarbeiter haben darin gearbeitet“, erinnert sich Saathoff. „Mittlerweile wird es kaum noch genutzt.“