Sturmtief „Ylenia” hat auch in Südhessen gewütet. Im Odenwald war ein Dorf von der Außenwelt abgeschnitten. Einige Schulen setzten den Präsenzunterricht aus. Ein Überblick.
SÜDHESSEN. In Bullau im Odenwaldkreis nehmen es die Menschen recht gelassen, wenn das zu Erbach zählende Höhendorf mal von der Außenwelt abgeschnitten ist: Auch am Donnerstagmorgen warteten die Bürger einfach ab, bis die Feuerwehr die Verbindungsstraße ins Mümlingtal freigeräumt hatte, und starteten etwas später als sonst zur Arbeit. Die Kinder mussten an diesem Tag nicht zur Schule, das kam den Bullauern zugute. Ortsvorsteherin Bianca Graf weiß über keine weiteren Vorkommnisse zu berichten, auch wenn die Sturmnacht schon heftig war und mehrere Bäume auf die Fahrbahn in Richtung Erbach gestürzt waren. Aber verletzt wurde niemand. „Wir sind im Odenwaldkreis glimpflich davongekommen“, sagt auch Kreisbrandmeister Norbert Heinkel, und ist sich dabei mit der Polizei in Erbach einig. Allerdings war auf mindestens acht Straßen der Verkehr wegen umgefallener Bäume kurzzeitig zum Erliegen gekommen.
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Die Hauptarbeit kam auf die Helfer in den frühen Morgenstunden zu: Gleich mehrere Stämme lagen nicht nur bei Bullau, sondern auch auf der Verbindung zwischen Höchst und Rimhorn, außerdem waren die Straßen zwischen Brensbach und Wallbach, zwischen Weiten-Gesäß und Zell, Lützelbach und Neustadt, Hainstadt und Wald-Amorbach sowie zwischen Rothenberg und Kortelshütte blockiert. Ein weiterer Baum war an der Michelstädter Rumillystraße auf ein Garagendach gestürzt. Im Einsatz waren neun Feuerwehren.
Wegen des Sturms war der Schulbesuch nicht zwingend; das Hessische Kultusministerium hatte es den Eltern freigestellt, ihre Kinder am Donnerstag zu Hause zu lassen. Drei Schulen im Odenwaldkreis blieben gleich ganz geschlossen: Die Ernst-Göbel-Schule und die Schule an der Mümling in Höchst sowie die Schule am Hollerbusch in Michelstadt.
Der Michelstädter Meteorologe Hubertus Volk meldet auf seiner Facebook-Seite „Klimagarten der Wetterstation Michelstadt” (Stand: Donnerstag, 10.03 Uhr): “Nach dem Sturm ist vor dem Sturm: So oder so ähnlich könnte die heutige Wetterlage überschrieben werden. Nach Abzug des mittlerweile über dem Baltikum liegenden Sturmtiefs Ylenia greift in der kommenden Nacht das nächste Sturmtief, Zeynep genannt, mit seinem Niederschlags- und Starkwindfeld auf den Odenwaldkreis über.” Damit sind neue Schäden am Freitag nicht auszuschließen.
Im Odenwaldkreis entscheiden der Schulträger und die Schulleitungen am Donnerstag, 17. Februar, darüber, wie die Regelungen zum Schulbesuch am Freitag, 18. Februar, aussehen sollen.
Im Kreis Darmstadt-Dieburg sind laut Kreisbrandinspektor Heiko Schecker am Donnerstag insgesamt lediglich sechs Bäume umgefallen. „Wir sind froh, dass es keine Personen- oder Sachschäden gegeben hat“, so Schecker.
Nach Polizeiangaben kam es bis zum frühen Donnerstagmorgen in Südhessen nur zu vereinzelten Meldungen über Vorfälle in Zusammenhang mit dem erwarteten Starkwind. Erst seit 4.30 Uhr seien bei den Leitstellen der Rettungsdienste und der Einsatzzentrale des Polizeipräsidiums Südhessen vermehrt Anrufe über Sturmschäden eingegangen. Vor Mitternacht kam es zu Meldungen über umgestürzte Bäume auf der Landstraße zwischen Ober-Ramstadt/ Rohrbach und Rodau. Nach Polizeiangaben war in Babenhausen ein Bauzaun in der Aschaffenburger Straße auf einer Länge von etwa 150 Metern umgefallen. Im Wald bei Nieder-Klingen musste die Feuerwehr in den Morgenstunden einen Baum wegräumen, der auf die Kreisstraße gefallen war.
Bis Samstag sind weitere Orkanböen vorausgesagt. „Wir sind gewappnet“, sagt Kreisbrandinspektor Schecker. Die Leitstelle werde für solche Ereignisse aufgestockt, damit die Eingänge bei erhöhtem Notrufaufkommen schneller abgehandelt werden können.
19 von 81 öffentliche Schulen im Kreis haben am Donnerstag aufgrund der Sturmwarnung den Präsenzunterricht ausgesetzt. So etwa die Aueschule in Münster, die Alfred-Delp-Schule in Dieburg die Lichtenbergschule Ober-Ramstadt. „Dabei hat es es sich überwiegend um weiterführende Schulen gehandelt, die die Entscheidung begründen konnten, indem die Schule in einem Waldgebiet liegt oder die Gefahr von Baumbruch besteht“, teilt die stellvertretende Schulamtsleiterin Dr. Ursula Schmieden mit.
Im Kreis Bergstraße haben die Bewohner das Sturmtief weitgehend unbeschadet überstanden. In den frühen Morgenstunden des Donnerstags wurden die Einsatzkräfte der Freiwilligen Feuerwehren von der Leitstelle des Kreises lediglich zu fünf Einsätzen gerufen, betroffen war jeweils der Bergsträßer Teil des Odenwaldes. Egal, ob in Lindenfels (zwei Alarmierungen), Birkenau (2) oder Hirschhorn, die Alarmierung war in allen Fällen identisch: „Technische Hilfeleistung klein, umgestürzter Baum“. Die Einsatzkräfte der Heppenheimer Feuerwehren befinden sich zwar seit Mittwochabend in Alarmbereitschaft, bis Donnerstagmittag mussten sie jedoch noch zu keinem sturmbedingten Einsatz ausrücken – „zum Glück“, wie der stellvertretende Stadtbrandinspektor Leonhard Einberger auf Anfrage bestätigt.
Umgestürzte Bäume, weggewehte Bauzäune, beschädigte Ampeln, geschlossene Schulen: Orkantief Ylenia hat die Einsatzkräfte im Kreis Groß-Gerau beschäftigt und bei vielen Familien für einen veränderten Tagesablauf gesorgt.
Nach der Sturmnacht mit schweren Böen von bis zu 100 Stundenkilometern zeigte sich Kreisbrandinspektor Fred Schmidt dennoch erleichtert. „Wir sind mit einem blauen Auge davongekommen“, erklärte er. Schmidt sprach am Vormittag von zwölf unwetterbedingten Einsätzen, bei denen im Schnitt jeweils neun Feuerwehrleute beteiligt waren.
Ein folgenschwerer Unfall ereignete sich am Donnerstagmorgen gegen 5.15 Uhr auf dem Vitrolles-Ring in Mörfelden-Walldorf. Dort stießen zwei Fahrzeuge aus noch ungeklärter Ursache frontal zusammen. „Ob das mit dem Sturm zusammenhing, wissen wir noch nicht“, sagte Polizeisprecher Bernd Hochstädter. Die beiden Fahrer – ein Mann und eine Frau – mussten mit schweren Verletzungen ins Krankenhaus gebracht werden. Neben der Feuerwehr waren zwei Rettungswagen und die Polizei vor Ort. Da Bäume auf die Straße zu fallen drohten, gestaltete sich die Situation in dem Waldstück für die Einsatzkräfte bedrohlich. Ein Abschleppwagen kam wegen eines umgestürzten Baumes nicht durch. Aus Sicherheitsgründen wurde der Vitrolles-Ring zwischen der B 486 und dem Zillering voll gesperrt. Dabei half auch der städtische Bauhof. Schließlich fiel die Entscheidung, mit der Räumung der Straße zu warten, bis sich die Lage beruhigt hat. „Es sollten ja alle Einsatzkräfte heil rauskommen“, so Hochstädter. Der Verkehr musste daher auch am Vormittag noch umgeleitet werden.
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In Rüsselsheim stürzten auf Höhe der Feuerwehr Bäume auf die Kreisstraße 159. Gegen 4.50 Uhr fuhr ein Lastwagen in einen der Bäume, der Fahrer blieb unverletzt. Die Straße war bis in den Vormittag hinein gesperrt. An der Kreuzung von L 3040 und K 159 (Astheimer Straße) drohte eine Ampel auf die Fahrbahn zu stürzen und musste gesichert werden. In Kelsterbach, Bischofsheim und Mörfelden-Walldorf wehte es Bauzäune um, in Gernsheim hielten zwei Bedarfsampeln für Fußgänger den Kräften des Windes nicht stand. Umgestürzte Bäume und herabfallende Äste wurden in etlichen Kommunen registriert.
In Nauheim fielen Bäume auf mehrere Privatgrundstücke, der Friedhof wurde vorsorglich gesperrt. Groß-Gerau kam mit dem Schrecken davon, es blieb bei abgebrochenen Ästen. Fasanerie und Friedrich-Ebert-Anlage sollten noch kontrolliert werden. Die über die Straßen gespannten Banner, die auf Radfahrer hinweisen und dem Wind viel Angriffsfläche bieten, hatte der Bauhof schon am Mittwoch vorsorglich abgehängt.
„Erstaunlich ruhig“ sei die Lage in Bischofsheim gewesen, berichtet Gemeindebrandinspektor Felix Bayer. Die Führungskräfte seien vorab über das Sturmtief informiert worden, die Feuerwehr habe nicht ausrücken müssen. Auch in Ginsheim-Gustavsburg konnten die Fahrzeuge nach Angaben von Stadtbrandinspektor Jürgen Karheiding im Gerätehaus bleiben.
Angesichts des massiven Windbruchs ruft Reinhard Ebert, Geschäftsführer der Forstbetriebsgemeinschaft Rhein-Main, die Bevölkerung dazu auf, in den nächsten Tagen den Wald zu meiden. „Nicht nur wegen umstürzender Bäume, sondern auch wegen schwerer Äste, die herabfallen können. Das ist nicht ungefährlich.“ Die Wege würden nun kontrolliert, in Rüsselsheim seien beispielsweise vereinzelt auch Bäume mit Flatterband umgeben worden, um auf Gefahren hinzuweisen.
Schulen mussten schnell umplanen
Auf den öffentlichen Nahverkehr im Kreis hatte der Sturm offensichtlich keine Auswirkungen. „Die Busse fahren fahrbahnplanmäßig“, sagte eine Sprecherin der Lokalen Nahverkehrsgesellschaft (LNVG). Lediglich die Zusatzfahrten für den Schülerverkehr habe man herausgenommen – schließlich blieben die Schulen am Donnerstag und Freitag geschlossen. Auch beim Schienenverkehr im Kreis gab es zunächst keine Einschränkungen. „Wir weisen aber immer darauf hin, dass sich das auch ändern kann.“
Die Schulen im Kreis mussten am frühen Mittwochabend schnell umplanen, als sie erfuhren, dass sich Landrat Thomas Will (SPD) und das Staatliche Schulamt darauf verständigt haben, den Präsenzunterricht auszusetzen und die Schulen vorsorglich für zwei Tage zu schließen. „Ich bin dankbar dafür, dass man die Schulen hier nicht alleine gelassen hat, sondern eine klare Entscheidung getroffen hat“, erklärte Dorlies Zielsdorf, die stellvertretende Leiterin der Bertha-von-Suttner-Schule in Mörfelden-Walldorf.
Am Donnerstagmorgen erschienen knapp zehn Kinder zur Notbetreuung, allesamt angemeldet. Versehentlich seien gar keine der 1924 Schülerinnen und Schüler erschienen. „Ich war total baff“, so Zielsdorf. Vorsorglich hatte sie zusätzliche Betreuungskapazitäten organisiert. Die aber wurden nicht benötigt. „Ich finde es toll, dass die Eltern so umsichtig und verantwortungsvoll reagiert haben.“ Nach zwei Jahren mit jeder Menge pandemiebedingter Einschränkungen sei das keine Selbstverständlichkeit. Der Distanzunterricht – mit dem man inzwischen reichlich Erfahrung habe – sei gut angelaufen.
Landrat Will betonte, dass es angesichts der Wetterwarnungen richtig sei, Vorsicht walten zu lassen. Nachdem das Kultusministerium die Möglichkeit eingeräumt habe, den Präsenzunterricht auszusetzen, sei das Schulamt auf ihn zugekommen. Dessen Argumentation, im Kreis keinen Flickenteppich entstehen zu lassen, habe er voll zustimmen können. Wichtig sei, dass Notbetreuung und Distanzunterricht angeboten würden.
Von unseren Reportern