Erstmals muss die Mainzer Kinderintensivstation einen jungen Corona-Patienten mit schwerem Verlauf versorgen. Was bedeutet die Krankheit für das Team und einen 14-Jährigen?
MAINZ. In den ersten zehn Monaten, die seit Ausbruch der Pandemie in Deutschland vergangen waren, musste das Team der Mainzer Kinderintensivstation keine Corona-Patienten behandeln. Bei Kindern ist der Krankheitsverlauf in aller Regel mild. In aller Regel – das heißt aber auch, es gibt Ausnahmen. Und jetzt war es soweit: Das erste Kind, das schwer an Covid 19 erkrankt war, wurde in die Station eingeliefert. Der Zustand des Jungen sei „sehr ernst“ gewesen, sagt Prof. Dr. Stephan Gehring. „Er hat das komplette intensivmedizinische Programm gebraucht.“ Gehring spricht von einer „absoluten Ausnahme“.
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Alex (Name von der Redaktion geändert) ist 14 Jahre alt und war kerngesund, bevor er sich mit Corona infizierte. Vorerkrankungen hatte er nicht. Dennoch schlug das Virus bei ihm erbarmungslos zu, setzte entzündliche Prozesse im ganzen Körper in Gang, zahlreiche Organe waren betroffen. Eine Woche lang musste der Junge beatmet werden.
Seit ein paar Tagen ist das überstanden, Alex, obgleich noch sehr schwach, ist unbestreitbar auf dem Weg der Besserung. „Er hat beste Chancen, sich wieder komplett zu erholen“, sagt Gehring. Junge Menschen regenerieren meist schneller als ältere.
Hohe Belastung für Team
Trotzdem – die letzten Tage und Wochen waren hart, für den Jungen und die, die sich um ihn kümmern. An den Pflegekräften ist die Corona-Krise natürlich nicht spurlos vorübergegangen. „Seit Monaten laufen wir hochtourig“, sagt Gehring, der stolz ist auf seine Mannschaft. „Meine Mitarbeiter leisten hervorragende Arbeit.“
Wie gesagt – Alex war der erste Patient, der auf der Mainzer Kinderintensivstation wegen Covid-19 behandelt werden musste. Dennoch sind die Mehrbelastungen deutlich zu spüren. Zum einen hat die Kinderintensivstation Personal auf die „normale“ Intensivstation entsendet, zum anderen nimmt sie von dort erwachsene Patienten auf. Beide Maßnahmen dienen dazu, die Erwachsenenintensivstation“ zu entlasten, da hier die Zahl der pflegeintensiven Corona-Patienten steigt. „Die Kollegen dort sind am Anschlag“, weiß Stephanie Maurer, pflegerische Leitung der Kinderintensivstation. „Wenn wir ihnen helfen können, machen wir das gerne.“
Dass neuerdings erwachsene Patienten auf der Kinderintensivstation liegen, „ist natürlich eine Herausforderung für uns“, betont Gehring – „wir haben es plötzlich mit für uns eher ungewohnten Krankheitsbildern zu tun.“
Dazu kommt das „normale“ Geschäft: schwerstkranke Kinder und Jugendliche, die intensivmedizinisch betreut werden müssen. Und nun also, mit Alex, auch ein Covid-Patient vor Ort.
Mit Schutzkleidung ausgerüstet
„Seine Pflege ist sehr aufwendig“, sagt Kinderkrankenschwester Irena Warzecha. Sie bereitet sich gerade darauf vor, in Alex’ Zimmer zu gehen. An der äußeren Tür hängt ein Schild: „Stopp! Infektiös!“ Niemand, der nicht befugt ist und die entsprechende Schutzkleidung trägt, darf den Raum betreten.
In der „Schleuse“, also zischen den beiden Türen, die zu dem Krankenzimmer führen, legt Irena Warzecha den Schutz an. FFP-Maske. Brille. Haube. Wasserundurchlässiger Mantel. Visier. Zuletzt die Handschuhe. „Alex, ich komme“, ruft sie und stapft zum Krankenbett. Der 14-Jährige ist froh über jede Unterbrechung seines eintönigen Klinikalltags.
„Nach spätestens zehn Minuten fängt man an, unter der Schutzausrüstung zu schwitzen“, erzählt Irena Warzecha später. Die Arbeit „in voller Montur“ ist anstrengender. Dazu kommt die psychische Komponente. Wie ist es, einem Corona-Patienten so nahe zu kommen? „Es gehört zur Arbeit“, geht die junge Pflegekraft professionell mit der Situation um. Mehr Sorgen als um ihre eigene Gesundheit macht sie sich um den seelischen Zustand des 14-Jährigen. Der viel alleine ist – seine Familie befindet sich in Quarantäne, Besuch darf er nicht empfangen.
Eine Woche lang bewusstlos
„Er hat natürlich Heimweh, da versuchen wir, ein bisschen für ihn da zu sein“, erzählt Irena Warzecha. Besonders berührend sei der Moment gewesen, als Alex nach über einer Woche Bewusstlosigkeit erwacht sei. „Er hat sofort nach seiner Mama gefragt und sich schreckliche Sorgen gemacht, dass seine Familie auch krank sein könnte.“
Mittlerweile darf Alex mit seiner Mutter telefonieren – das trägt zu seinem Gesundwerden bei. Während der Junge sich erholt, gehen die Pflegekräfte anstrengenden Zeiten entgegen.
„Die nächsten Wochen werden schlimm, vor allem für die Erwachsenen-Intensivstation“, fürchtet Stephanie Maurer. „Es wird noch viele Covid-Patienten geben.“ Der Lockdown sei viel zu spät gekommen.
Und was ist mit der Wertschätzung fürs Krankenhauspersonal, über die im Frühjahr doch so viel geredet wurde? „Ach“, winkt Maurer ab, „Die liebste Wertschätzung ist mir, wenn die Leute zu Hause bleiben und sich schützen. Einfach, um auch uns zu entlasten.“