„NSU 2.0”-Angeklagter zu langjähriger Haft verurteilt

Hinter seinem Verteidiger Ulrich Baumann (rechts) betritt Alexander M. den Gerichtssaal.
© dpa

Im Prozess um die Serie rechtsextremer Drohschreiben hat das Frankfurter Landgericht den Angeklagten Alexander M. schuldig gesprochen. Das Urteil: Fünf Jahre und zehn Monate Haft.

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Frankfurt.Im Frankfurter Prozess um die „NSU 2.0”-Drohschreiben ist der Angeklagte am Donnerstag vor dem Frankfurter Landgericht zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Der aus Berlin stammende Alexander M. hatte nach Auffassung der Richter per E-Mail, Fax oder SMS eine Serie von hasserfüllten und rassistischen Drohschreiben an Rechtsanwälte, Politikerinnen, Journalistinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens gerichtet. Das Gericht verurteilte den 54-Jährigen unter anderem wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten, der Volksverhetzung, der Störung des öffentlichen Friedens, der Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole und wegen eines tätlichen Angriffs auf einen Vollstreckungsbeamten. Der Angeklagte selbst hatte die Vorwürfe am Donnerstag in seinem „letzten Wort” erneut zurückgewiesen. Begleitet wurde der Prozesstag von einer Kundgebung der hessischen Linken.

Alexander M. musste sich seit Februar vor dem Landgericht Frankfurt verantworten. Laut Urteil war er der Verfasser von insgesamt 81 Drohschreiben, die zwischen 2018 und 2021 per Email, Fax oder SMS an Rechtsanwälte, Politikerinnen, Journalistinnen und Vertreter des öffentlichen Lebens gerichtet und mit „NSU 2.0” unterzeichnet waren.

Am letzten Prozesstag hatte zunächst M. das Wort. Er verlas knapp anderthalb Stunden lang eine 94-seitige Erklärung, in der er seine Täterschaft bestritt und schwere Vorwürfe gegen Polizei und Staatsanwaltschaft erhob. So habe Oberstaatsanwalt Sinan Aktogan bei seinem Plädoyer vor 14 Tagen zahlreiche Vorgänge „gezielt verschwiegen”, anderes falsch subsumiert - die Schlussfolgerung des Angeklagten: Die Staatsanwaltschaft habe „keine Ahnung von Strafrecht” oder wolle ihn „gezielt fertigmachen”. Das Gericht werde mit „unverschämten Lügen und Manipulationen” unter Druck gesetzt, eine hohe Strafe auszusprechen, um sich keinen Vorwürfen auszusetzen, die Justiz sei auf dem rechten Auge blind.

Zahlreiche offene Fragen, Ermittlungsfehler und Ungereimtheiten

M. zählte zahlreiche offene Fragen, Ungereimtheiten und Ermittlungsfehler auf, um deutlich zu machen, wovon kurioserweise - zumindest teilweise - auch die Nebenklage und die linken Demonstranten ausgehen: Es müsse mehrere Täter geben, wofür zahlreiche missachtete Beweise und Indizien sprächen. Das erste Drohfax an die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basar-Yildiz stamme von einem Polizisten des 1. Frankfurter Reviers. Die Staatsanwaltschaft hatte in ihrem Schlussvortrag die klare These von der Alleintäterschaft vertreten und war damit sozusagen der Schlussfolgerung des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) gefolgt, der kurz nach M.s Festnahme am 3. Mai 2021 verkündet hatte, die hessische Polizei sei nicht in die „NSU 2.0”-Serie verstrickt.

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Insgesamt beinhaltete die Aufzählung des Angeklagten, der auch die weiteren angeklagten Straftatbestände „Verstoß gegen Waffengesetz”, „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte”, „Besitz von Kinder bzw. Jugendpornografie” zu widerlegen versuchte, keine gänzlich neuen Erkenntnisse, trotzdem waren die Zuschauer, darunter die beiden Linken-Politikerinnen Janine Wissler und Martina Renner - beide waren Empfängerinnen von „NSU 2.0”-Drohschreiben, Renner ist gar Nebenklägerin - nicht sicher, ob am Donnerstag noch ein Urteil gesprochen wird. Fraglich ist nebenbei, welchen Bestand ein solches angesichts der zahlreichen offenen Fragen hätte.

Bereits in dieser Woche hatte es eine Kontroverse um die Frage der Verstrickung des Polizei in den „NSU 2.0”-Komplex gegeben: In einer von der Linken verschickten Erklärung mehrerer Betroffener, darunter Basa-Yildiz, Wissler und Renner, hieß es, die Drohserie sei nicht vollständig aufgeklärt und die hessische Polizei durch eine Verurteilung des Angeklagten nicht entlastet. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Hessen wies dies energisch zurück: „Es gibt keine rechten Netzwerke innerhalb der hessischen Polizei”, formulierte der Landesvorsitzende Jens Mohrherr in einer Pressemitteilung.