Mit der Taschenlampe unterwegs auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Frankfurt
Von Katja Sturm
Mit der Taschenlampe auf dem Alten Jüdischen Friedhof: Michael Lenarz, der stellvertretende Direktor des Jüdischen Museums Frankfurt, zeigt und erklärt die Grabstätten. Foto: rscp/René Vigneron
( Foto: rscp/René Vigneron)
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FRANKFURT - Die Dunkelheit hat sich bereits über die Stadt gelegt. Auf dem Alten Jüdischen Friedhof, nicht weit vom Brummen der Frankfurter City entfernt, weisen nur ein paar Leuchten und vorne, entlang der Mauer, das hereinfallende Licht der Straßenlaternen den Weg. Mehrere hundert Jahre Geschichte schlummern hier. Die beiden ältesten Grabsteine datieren aus dem Jahr 1272. Doch womöglich wurden auch vorher schon Menschen jüdischen Glaubens auf dem knapp 12 000 Quadratmeter großen Areal an der heutigen Battonnstraße beerdigt, erklärt Michael Lenarz.
Ein dichtes Meer an Monumenten
Der stellvertretende Direktor des Jüdischen Museums leitet in den dunkleren Monaten sogenannte Taschenlampenführungen über diese Ruhestätte, die zweitälteste ihrer Art nördlich der Alpen. Die Idee dazu kam vor einem Jahr auf, als zur Wiedereröffnung des Museums Judengasse ein so hohes Interesse an fachkundig begleiteten Rundgängen über das Gräberfeld bestand, dass diese bis in die Abendstunden hinein angeboten wurden. „Danach haben wir uns überlegt, dass wir das wieder machen sollten“, erzählt Lenarz.
Dabei hat sich herausgestellt, dass die von den Spuren der Zeit nicht unberührt gebliebenen Inschriften auf den Grabsteinen im schrägen Schein der kleinen, jedem Teilnehmer vor Beginn ausgehändigten LED-Lämpchen bisweilen besser zu erkennen sind als am Tag. Ihre Bedeutung allerdings wird nur denjenigen klar, die des Hebräischen mächtig sind. Sofern sie, wie Lenarz erklärt, die oft verwendeten Abkürzungen zu deuten wissen.
FÜHRUNGEN
Taschenlampenführungen über den Alten Jüdischen Friedhof gibt es erst wieder ab Herbst. Tagesführungen finden regelmäßig statt, die nächste am Sonntag, 26. März um 15.30 Uhr.
Informationen unter www.juedischesmuseum.de. Wer den Friedhof auf eigene Faust besuchen will, kann sich den Schlüssel für die Pforte im Museum Judengasse (Battonnstraße 47) abholen.
Er selbst hat Übersetzungen parat für einige der insgesamt 6500 Grabsteine, die hier bis 1828 aufgestellt wurden. Ein dichtes Meer an Gedenkmonumenten bedeckte damals den Friedhof. Denn im jüdischen Glauben behält ein Toter seinen Ruheplatz für die Ewigkeit. Dabei konnte sich längst nicht jeder einen Grabstein leisten. „Nach schriftlichen Zeugnissen“, so Lenarz, „liegen hier 26 000 Menschen.“ Darunter viele jung Verstorbene, die unterhalb des sogenannten Kinderberges, einer kleinen Anhöhe rechter Hand des Eingangs, aufgehäuft wurden.
Unter den Steinen, die bis heute gut erhalten sind, befinden sich die bekannter Rabbiner, aber auch, fast ein wenig unscheinbar, der von Mayer Amschel Rothschild (1744-1812). Der Begründer des bekannten Bankhauses wohnte einst selbst in der Judengasse, die direkt auf den Friedhof zulief, und offenbar, so Lenarz, scheuten die Nationalsozialisten bei ihrer Zerschlagung zahlreicher Gedenksteine vor dem seinen zurück. 1943 hatten sie damit angefangen, die Grabstätten zu zerstören, um das Gelände einzuebnen. Eine schmale Schneise zeugt noch heute davon, dass der Schutt mit einer kleinen Eisenbahn abtransportiert wurde. Doch die Arbeiten kamen zum Erliegen, als Bomben auf Frankfurt niederregneten. Die bereits frei gelegten Flächen wurden als Ablageflächen für Trümmer genutzt. Das Glitzern, das vor allem bei Regen auf dem Boden auszumachen ist, stammt von dem Glas der Fenster aus Häusern der Altstadt, das immer wieder nach oben gespült wird, erklärt Lenarz.
Auch mit spielerischen Elementen
In einem Forschungsprojekt wurden von 1991 bis 2001 die noch erhaltenen Grabsteine und Bruchstücke dokumentiert. Nicht bei allen ließen sich die ursprünglichen Aufstellorte rekonstruieren; entsprechend stehen sie heute entlang der Mauern oder nicht weit entfernt davon, während diejenigen, von denen nur noch Fragemente übrig sind, in der Mitte des Friedhofs zu Häufchen aufgeschichtet wurden. Einige der ursprünglich auf dem Alten Friedhof platzierten Steine durften vor der Zerschlagung durch die Nazis vom Historischen Museum zwecks Erhalt aussortiert werden und finden sich heute auf der Parzelle, die auf dem Frankfurter Hauptfriedhof jüdischen Begräbnissen vorbehalten ist.
Der nächtliche Gang über den Totenacker enthält bei allem Respekt auch ein spielerisches Element. Anhand der Hauszeichen, die auf vielen Grabsteinen zu finden sind, Abbildungen von Bären, tanzenden Männern oder Reusen, lässt sich der Familienname der Verstorbenen erraten. Bei der Aussprache allerdings sorgt nicht zuletzt der Frankfurter Dialekt für einige Verwirrung. Und zu der Einsicht, dass sich selbst bei hellerem Licht nicht alle Geheimnisse offenbart hätten.