Wie war das noch bei Schillers Wilhelm Tell? "Durch diese hohle Gasse muss er kommen." Nun führt Teil 8 der Reihe "Heimat Erfahren" nicht in Tells Heimat – die...
Leun/Greifenstein/Runkel. Wie war das noch bei Schillers Wilhelm Tell? "Durch diese hohle Gasse muss er kommen." Nun führt Teil 8 der Reihe "Heimat Erfahren" nicht in Tells Heimat – die Schweiz. Durch die hohle Gasse müssen wir trotzdem. Und zwar unbedingt.
Lahn kann jeder. Egal, ob flussauf- oder abwärts: Eine Tour auf dem Lahntalradweg ist in etwa so fordernd wie das Aufpumpen eines Reifens. Vergnüglich wird eine Tour mit Start und Ziel am Fluss dann, wenn mittendrin auf zwei alten Bahnstrecken gefahren, ein Höhenzug bezwungen und ein Abstecher in die Literaturgeschichte gemacht wird. Und das ist gar nicht so schwer.
Die Tour ist fix erklärt: Von Stockhausen aus geht es auf der Trasse der ehemaligen Ulmtalbahn bis Beilstein, weiter auf der Höhe bis Arborn. Dort wechseln wir von einem Seitental der Lahn ins nächste: Vom Ulm- ins Kerkerbachtal. Und folgen ab Mengerskirchen erneut einer alten Bahnstrecke – der Kerkerbachbahn. Beide sind lange stillgelegt, die Ulmtalbahn seit 1988, die Kerkerbachbahn seit 1960. Während der heutige Ulmtalradweg fast komplett auf der alten Bahnstrecke verläuft, alte Brücken, Viadukte und Hektometersteine noch zu erkennen sind, orientiert sich der Radweg am Kerkerbach eher grob an der Strecke. Bauten oder Infrastruktur sind kaum noch da – und die wirklich sehenswerte alte Lok, die in Heckholzhausen für die Bahnstrecke wirbt, ist eine "Täuschung": Das normalspurige Fahrzeug war auf der schmalspurigen Kerkerbachbahn nie im Einsatz. Ein prima Fotomotiv ist das Stahlross aber allemal.
Bildergalerie
Idealer Startort für die knapp 60 Kilometer lange Strecke mit ihren (Auf- und Abstiege addiert!) 1300 Höhenmetern ist der Bahnhof Stockhausen. Wie die Ulmtalbahn fahren wir nach Biskirchen, biegen rechts ins Tal ab und werden sanft nach oben geführt, so wie früher der "Balkan-Express", wie die Bahn im Ulmtal im Volksmund hieß;.
In Beilstein endete die Ulmtalbahn, der heutige Radweg geht aber weiter und trifft bei Arborn auf den R 8
Bis hoch nach Beilstein ist es schwer, Höhepunkte herauszuheben: Beeindrucken können ganz sicher die Aussichten, denn die Bahn verlief an den Rändern des Ulmtals, also über den Dörfern. Beeindrucken kann auch der Zustand des Weges: Neuer Asphalt, deutliche Schilder, viele Rastplätze und Bänke, aus denen zwei herausragen: Der Rastplatz bei Ulm mit der Büste des Regisseurs Erwin Piscator und Nobelradständern aus Edelstahl. Und der Rastplatz über der Ulmtalsperre – kein Rastplatz, eher ein Balkon am Hang.
Ab Beilstein, seinerzeit Endstation des "Balkan-Express", geht der Ulmtalradweg über ausgebaute Feldwege weiter. Die Steigungen sind satter, die Route kantiger. Die Fahrt aber nicht weniger schön, weil sich königliche Ausblicke auftun und der raue Westerwälder Wind die Beine kühlt. Und frisches Wasser die Füß;e: Oberhalb Beilsteins wartet noch ein besonderer Rastplatz – mit Bänken, Aussicht, Tretbecken – und das alles prima gepflegt. Unbedingt besuchen!
Am Eingang von Odersberg verlassen wir die ausgeschilderte Route, die weiter zum "Knoten" und auf den Radfernweg (R) 8 führen würde. Dorthin wollen wir zwar auch, der ADFC-Kreisvorsitzende Peter Fuess, der die Tour anführt und Wissenswertes erzählt, hat aber einen alternativen Weg ausbaldowert: Es geht runter nach Arborn und in seinen sehenswerten Kern, in dem eine Rast schon lohnt, weil man sich einmal an der Aussprache der alten Dorfnamen üben muss, die an den Häusern stehen. "Ahldschumerstersch" zum Beispiel.
Arborn und Mengerskirchen, der nächste Halt, liegen etwa gleich hoch. Dazwischen befindet sich die satteste Steigung der Tour. Einen guten Kilometer geht es steil bergauf und wieder steil bergab, dann schon auf dem R 8. Das lohnt sich – aller Quälerei zum Trotz –, weil oben zwischen den Dörfern ein markanter Ort wartet: Der "Dicke Baam", eine stattliche, uralte Linde, daneben die Reste eines Gotteshauses, der Heiligkreuzkirche.
Dort oben, mit Blick zurück auf Arborn, finden zudem drei Wechsel statt: Wir beenden den Westerwald-Aufstieg und fahren nun wieder talwärts. Wir kommen vom Lahn-Dill-Kreis in den Landkreis Limburg-Weilburg. Und: Wir wechseln vom Ulmtal in die Ausläufer des Kerkerbachtals. Endstation dieser Eisenbahn, die wie die Ulmtalbahn als Stichstrecke von der Lahntalbahn abzweigte, war Mengerskirchen. Beschildert ist der Kerkerbachtal-Radweg mit einer schwarzen Lok.
Den Schildern folgen wir nur kurz, Peter Fuess will ein Teilstück mit scheuß;licher Führung und groß;em Umweg über Waldernbach vermeiden. Daher stürzen wir uns am südlichen Ende von Mengerskirchen in den Wald und kommen erst fünf Kilometer später in Fussingen wieder heraus – und waren mittendrin sogar mal kurz in Rheinland-Pfalz.
Der Bach mäandert durch die Wiesen – und das muss auch der Weg, vorbei an Stollen und einem Steinbruch
Fussingen ist dann wieder ganz hessisch: Der Blick vom Hang reicht bis zum Feldberg und hier radelt es sich jetzt erstmals bewusst auf der alten Trasse der Kerkerbachbahn: Zwei Reihen Betonplatten, etwa im Abstand der Schienen verlegt, formen den Radweg.
Im Gegensatz zum Ulmtalradweg, der fast durchgehend asphaltiert und sehr breit ist, ist die Route am Kerkerbach eher schmal und besitzt oft eine geschotterte Oberfläche – die sich aber gut fahren lässt.
Spuren der Eisenbahn sind südlich von Hintermeilingen wieder zu sehen – rechter Hand im Wald werden die Verladerampen der Tongrube Maria von der Natur überwuchert. In Heckholzhausen, das als einziger Ort an der Strecke zwei Halte besaß;, passieren wir die eingangs erwähnte Lok, die seit 2011 hier steht. Von nun an bis hinab zur Lahn wird die Radroute sehr ursprünglich und der Weg verläuft, dicht an den Hang gepresst, meist einige Meter oberhalb des Kerkerbachs. Vor allem südlich von Schupbach mäandert der Wasserlauf durch die Landschaft und der Radweg folgt ihm. Links, rechts, links, rechts und immer so weiter: Es geht nicht sehr schnell voran, aber unheimlich kurzweilig. Stolleneingänge und ein noch aktiver Steinbruch verdeutlichen, warum die Kerkerbachbahn gebaut wurde: Um Bodenschätze abzutransportieren. "Eisensegen" steht über so einem Stollen nördlich von Eschenau, 1940 wurde das Grubenfeld aufgegeben.
Und dann zu Tell: Die Lahn ist fast erreicht, als der Weg in einer leichten Linkskurve eng zwischen Felsen hindurch führt. "Durch diese hohle Gasse muss er kommen", der bekannte Satz aus Schillers Drama "Wilhelm Tell", schieß;t in den Kopf. Nein, mit "müssen" hat das nichts zu tun. Hier will man mit Lust hindurch fahren.
Es ist nun nicht mehr weit bis zur Lahn. Die Kerkerbachbahn endete im gleichnamigen Bahnhof, der als Halt an der Lahntalbahn heute noch besteht. Wenige Minuten später in Runkel endet unsere Rundfahrt.
Wer zuvor noch etwas ruhen und sich stärken möchte, der kann dies zum Beispiel in der Hofener Mühle, denkmalgeschütztes Ensemble mitten in der Natur und nicht weit weg vom Radweg. Besitzer Gernot Dorn erklärt Besuchern gern, was die Besonderheiten des Anwesens sind, in dem heute kein Mehl mehr gemahlen, mit der Kraft des Wassers stattdessen Strom produziert wird. Aus dem Jahr 1710 stammt der älteste Teil der Anlage, die über eine eigene Trinkwasserquelle verfügt und früher eine Besonderheit war, wie Dorn erzählt: Eine freie Mühle, wo jedermann sein Korn mahlen lassen konnte, im Gegensatz zu den übrigen Mühlen, die als "Bannmühlen" eine Art Gebietsschutz hatten. Was man beim Radeln nicht alles lernt.
TOURINFOS
Name: Königliche Höhen und ein Hauch Wilhelm Tell
Start: Bahnhof Stockhausen
Ziel: Runkel
Länge: 58 Kilometer
Dauer: 4,5 Stunden
Höhenmeter: 1300
Steigung: moderat
Orte: Stockhausen, Biskirchen, Allendorf, Ulm, Holzhausen, Beilstein, Odersberg, Arborn, Mengerskirchen, Fussingen, Lahr, Hintermeilingen, Heckholzhausen, Eschenau, Hofen, Steeden, Runkel
ÖPNV: Bahnhof Stockhausen, RB-Linie 45
Höhepunkte: Rastplatz mit Gedenkstein bei Ulm, Steinbrücken und Tretbecken bei Beilstein, historisches Arborn, Dicker Baam, Eisenbahnspuren am Kerkerbach, hohle Gasse (pre)