Wer 2000 Jahre in die Vergangenheit reisen will, muss nur so tief buddeln: Archäologin Regine Müller hält ihre Hände 50 Zentimeter auseinander. Tiefer liegen die Spuren der...
Lahnau/Biebertal. Wer 2000 Jahre in die Vergangenheit reisen will, muss nur so tief buddeln: Archäologin Regine Müller hält ihre Hände 50 Zentimeter auseinander. Tiefer liegen die Spuren der Kelten am Dünsberg nicht. Die der Römer schon. Daher wird in Waldgirmes tiefer gegraben.
"Salvete!" Das graue Haar, der Bart, die stattliche Erscheinung, und er spricht auch noch ihre Sprache: Wilfried Paeschke könnte als waschechter Römer durchgehen. Der Ort stimmt auch: Vermutlich unter dem Namen "Mattiacum" war das heutige Waldgirmes, wo uns Paeschke empfängt, um das Jahr 0 eine zivile Siedlung der Römer in Germanien – und nicht mal irgendeine. Es handelte sich um eine römische Stadt mit der Aufgabe, die Provinz "Germania Magna" zu verwalten, erzählt der Vorsitzende des Fördervereins Römisches Forum.
Das 54 mal 45 Meter groß;e Forum ist ein Markt- und Handelsplatz im Herzen der römischen Stadt
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Dieses Forum, eine Art Markt- und Handelsplatz im Herzen jener römischen Stadt, ist heute noch auszumachen. Der Platz, dessen Größ;e und Lage bei Ausgrabungen festgestellt wurde, ist mit hellem Kies ausgestreut, die Gebäude, die ihn einst umrahmten, werden von dunklem Kies symbolisiert. Das gesamte Forum im Zentrum der römischen Stadt war etwa 54 mal 45 Meter groß;.
Soweit die bloß;en Fakten, doch es fehlt wohl noch an Kontext. Römer-Kelten-Tour – so lautet der Arbeitstitel dieses vierten Teils der Reihe "Heimat Erfahren". Beide Völker spielen in der Geschichte des heutigen Deutschlands eine gewichtige Rolle. Zeugnisse ihrer Existenz in der Region finden sich vor allem im Gleiberger Land – zwischen Waldgirmes im Süden und dem Dünsberg im Norden. Diese Spuren und die Zentren der jeweiligen Kultur in der Region wollen wir mit dem Fahrrad erkunden. Dafür ist Waldgirmes die erste Anlaufstelle und Wilfried Paeschke, der vor 2000 Jahren einen respektablen Centurio abgegeben hätte, der Ansprechpartner der Wahl.
Die römische Siedlung in Waldgirmes, weiß; der Vorsitzende, wurde 3 oder 4 vor Christus gegründet. An Hölzern, die man in alten Brunnen fand, lasse sich das sehr genau datieren. "Dendrochronologie" nennt sich das Verfahren. Nur gut 20 Jahre waren die Römer in der Region, gaben ihre Stadt nach der verlorenen Schlacht am Teutoburger Wald auf. Was Waldgirmes so besonders macht – auß;er dem Pferdekopf, der 2009 bei Grabungen in 9,40 Meter Tiefe in einem Brunnen gefunden wurde? Dass es sich um eine entstehende zivile römische Stadt rechts des Rheins handelte – die bislang einzige bekannte.
Hinter Waldgirmes wird es waldig: Leicht bergan geht es nach Norden, in Richtung "Dicke Eiche". Der Baum, im Jahr 2002 wegen schwerer Schäden niedergelegt, stand seit jeher an einer wichtigen Wegekreuzung im Wald zwischen Blasbach, Waldgirmes, Rodheim-Bieber und Königsberg. Fast 1000 Jahre alt soll der "Baumveteran" geworden sein, wie eine Infotafel vor seinen Resten erklärt. Für diese Radtour ist der Baum eine wichtige Wegmarke und ein Orientierungspunkt.
Weiter geht es. Wir wählen einen der sechs Wege, die sich an der Eiche treffen, und rollen bergab, Richtung Atzbach, in einem weiten Bogen nach links, an Hof Haina vorbei und hinein nach Bieber. Kurz werden die Beine ausgeschüttelt, dann folgt der Anstieg nach Fellingshausen, in das Dorf am Fuß;e des Dünsberges, der hier schon mächtig groß; die Landschaft dominiert.
Wenige hundert Meter oberhalb des Dorfes begrüß;t Regine Müller vom Verein "Archäologie im Gleiberger Land" die Radler. Der Ort ist das Keltentor, 2001 vom Dünsbergverein errichtet – mit gutem Grund: Das Oppidum am Dünsberg gilt als eine der bedeutendsten keltischen Siedlungen überhaupt. Drei Erdwälle sicherten die Anlage ab, liefen einmal rings um den Berg herum. In diesen Wällen gab es Tore – wobei es für Standort und Form des Keltentores von 2001 vor Ort keine Belege gibt, wie Archäologin Müller betont. Man wisse aber, zum Beispiel durch Grabungen in Frankreich, dass die Kelten so bauten. Hinter dem Tor ist ein keltischer Hof zu sehen, aufgebaut im Jahr 2006 nach der Bauweise, die auch die Kelten nutzten. Im Garten wachsen die Kräuter, die seinerzeit genutzt wurden. Die genaue Größ;e der Siedlung übrigens ist unbekannt. Und Archäologin Müller will sich ungern "festnageln" lassen. Gut und gerne 1000 oder 2000 Personen könnten hier aber gelebt haben, sagt sie.
Womit wir zur wichtigsten Frage kommen: Kelten und Römer – hatten die miteinander zu tun? "Bis heute ist kein Schlachtfeld gefunden worden", sagt Müller – das hatte zuvor auch Paeschke festgestellt. "Wobei das nicht heiß;t, dass es keines gibt. Nur, dass eben bisher keines gefunden wurde", schiebt Müller hinterher. Bekannt ist aber auch, dass die Hauptsiedlungszeit der Kelten zwischen 150 und 50 vor Christus lag. Und dass sich die Spuren der Kelten vor der Ankunft der Römer in Waldgirmes verlieren – vermutlich zogen sie Richtung Köln.
Förderverein richtet am 2. Juli wieder einen Römertag aus – auch die Kelten vom Dünsberg sind zu Gast
Seine Erkenntnisse über die keltische Geschichte verdankt der Verein "Archäologie im Gleiberger Land" den Grabungen, die seit 1999 regelmäß;ig am Berg durchgeführt werden. Spuren der Siedlung werden dabei gefunden, Scherben oder Waffen. Manchmal hilft auch der Zufall, so wie Anfang 2016, als nach einem Wintersturm plötzlich ein einschneidiges Hiebschwert aus dem Boden ragte. Seine Funde präsentiert der Verein dann in seinem Museum in Rodheim-Bieber, im Keller der Gemeindeverwaltung – die Route führt daran vorbei. Geöffnet ist jeden ersten und dritten Sonntag im Monat.
Womit sich der Kreis schließ;t: Einen Ort zur Ausstellung seiner Funde wünscht sich auch der Förderverein in Waldgirmes. Doch noch fehlt Geld für den Bau des Besucherzentrums – 50 000 bis 100 000 Euro, wie Paeschke erläutert. Vor allem die Spendierfreudigkeit der Wirtschaft sei überschaubar. Und Paeschke erinnert wieder an den Pferdekopf, um den gerade prozessiert wird. "Das Interesse lässt nach", stellt der 77-Jährige fest, "mit jedem Monat, in dem der Pferdekopf nicht öffentlich zu sehen ist".
Um für den Verein und die Bedeutung der römischen Spuren in Waldgirmes zu werben, richtet der Verein am 2. Juli von 10 bis 17 Uhr einen Römertag aus. Dort soll ein friedliches Zusammenleben von Römern und Germanen zu Zeiten des Kaisers Augustus gezeigt werden. Legionen, Gladiatoren und römische Musik werden vorgestellt. Der Archäologieverein vom Dünsberg stellt seine Funde vor. Eintritt frei.
Wieder auf die Strecke: Vom Keltentor geht es zurück durch Fellingshausen und Rodheim-Bieber. Dorlar ist das Ziel und dorthin rollen wir an zwei markanten Punkten vorbei: Dem Bieberlies-Erinnerungsareal, das an die Biebertalbahn erinnert, die von Gieß;en bis nach Bieber führte, Steinbrüche und Gruben erschloss und auch von den Bewohnern des Biebertals zur Fahrt in die groß;e Stadt genutzt wurde. Und an Hof Schmitte, kurz vor dem Ortseingang am Bieberbach gelegenes Hofgut mit langer Geschichte.
Der Weg nach Kinzenbach führt noch einmal hinauf, irgendwo zwischen Pferdekoppeln radeln wir kurz auf Gleiberg und Vetzberg zu.
In Dorlar, am Ende dieser Tour, befand sich im ersten Jahrhundert nach Christus ein römisches Militärlager, von Legionären als Marschlager für Offensiven nach Germanien angelegt. Heute ist die Fläche ein Gewerbegebiet, eine Straß;e nach dem Lager benannt. Einen Keltenweg gibt es nicht ...
TOURINFOS
Name: 2000 Jahre Geschichte unter den Reifen
Start: Leitzpark Wetzlar
Ziel: Römerlager Dorlar
Länge: 34 Kilometer
Dauer: 3 Stunden
Höhenmeter: 1005
Steigung: moderat bis stark
Orte: Wetzlar, Garbenheim, Waldgirmes, Rodheim-Bieber, Fellingshausen, Kinzenbach, Atzbach, Dorlar.
ÖPNV: Am Leitz-Park, Stadtbus 11
Höhepunkte: Römerforum, Dicke Eiche, Keltentor, Ausblicke zum Dünsberg.