Vier Aßlarer retten Bäckermeister Hartmut Moos das Leben

Hartmut Moos (M.) wäre ohne den Einsatz von (v.l.) Josh Wenserit, David Failing, Dieter Gombert und Nick Wenserit heute wohl nicht mehr am Leben. 

Bei einem Trainingsspiel in Berghausen geht es plötzlich um Leben und Tod. Nur weil in den entscheidenden Momenten richtig gehandelt wird, ist „mit Moos weiterhin was los“.

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Wetzlar/Aßlar. Es ist ein gewöhnlicher Samstag im April 2021. Hartmut Moos packt seine Sporttasche, um am Mittag mit Freunden eine Runde zu kicken. So wie in jungen Jahren. Am Sportplatz in Berghausen stellt er kurze Zeit später sein Auto ab. So weit reicht seine Erinnerung. Doch an das, was in den Minuten, Stunden und Tagen danach passiert, kann sich der 61-Jährige nicht mehr erinnern. Und wird es wohl auch nie mehr wieder können. Erinnerungen an die vielen Tore, die er an diesem Tag geschossen haben soll. Oder an den Helikopter, der ihn nach seinem plötzlichen Herztod weggeflogen hat.

Bis zu den nächsten Bildern, die er in seinem Gedächtnis trägt, dauert es eine Woche. Hartmut Moos wacht aus dem künstlichen Koma auf – im Klinikum Siegen. Eine Woche, nachdem er bereits für einen Moment aus dem Leben getreten war. Eine Woche, die sich für Freunde, Familie und Bekannte wie eine Ewigkeit angefühlt haben.

„Ich war zunächst ein bisschen durcheinander“, beschreibt er den Moment, an dem er seine Augen erstmals wieder öffnet. „Und ich habe mich gefragt, warum ich verdammt noch mal so starke Rippenschmerzen habe.“ Eine Idee, was vorgefallen sein könnte, hat Moos zu diesem Zeitpunkt nicht. Erst als er auf seinem Krankenbett ein Schreiben des Siegener Betreuungsgerichtes entdeckt, „ist mir klar geworden, dass etwas Schlimmeres passiert sein muss.“

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Die Freunde, mit denen der Geschäftsführer der Bäckereikette Moos an jenem Samstag im April 2021 verabredet ist, sind die Brüder Nick und Josh Wenserit und David Failing aus Aßlar. Das Trio ist Anfang 20, betreibt in Aßlar eine eigene Design-Firma und hat für Hartmut Moos in der Vergangenheit diverse Aufträge erledigt. Aus der Geschäftsbeziehung entsteht schnell eine Freundschaft – trotz des Altersunterschiedes von rund 40 Jahren.

Es geschieht in der Trinkpause

„Irgendwann kam raus, dass er früher auch mal Fußball gespielt hat“, erzählt Nick Wenserit, der gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Josh aktiv für den FSV Berghausen kickt. „Dann hat er gemeint, dass er gerne mal prüfen würde, wie gut wir sind und ob er es selbst noch kann“.

Gesagt, getan. Am 24. April 2021 verabreden sich die vier Männer auf dem Sportplatz in Berghausen. Im Duell Zwei-gegen-zwei beweist Hartmut Moos laut Nick Wenserit, dass er es „am Ball durchaus noch drauf hat“. Nicht nur viele Tore habe er an jenem Tag geschossen, sondern auch Siege eingefahren. Unabhängig davon, wer sein Mitspieler war.

Während Spiel drei wird beim Stand von 7:7 eine kurze Trinkpause eingelegt. Dann passiert es. Das Gesicht von Hartmut Moos läuft rot an, er beginnt zu röcheln, sinkt auf die Knie und ist nicht mehr ansprechbar. „Da war uns sofort klar, dass es wirklich übel ist“, sagt Nick Wenserit.

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Öffentliche Belobigung des Landes Hessen für Josh Wenserit aus Aßlar. 
Öffentliche Belobigung des Landes Hessen für Josh Wenserit aus Aßlar.  (© Timo König)

Sein Bruder Josh eilt zu Vorstandsmitglied Dieter Gombert, der eigenen Angaben zufolge eigentlich schon längst nach Hause gehen wollte und nur noch durch Zufall auf der Sportanlage verweilt, während Nick geistesgegenwärtig den Notruf alarmiert.

Am anderen Ende der Leitung nimmt Timo Schmahl den Hörer ab. Er ist Mitarbeiter in der Zentralen Leitstelle des Lahn-Dill-Kreises in Wetzlar. „Was ich noch weiß“, sagt er, „ist, dass es eine ernste Lage war. Vor allem, weil jemand einen Hubschrauber verlangt hat, der am Ende auch kommen musste.“

Auf dem Sportplatz in Berghausen liegt Hartmut Moos nun komplett leblos am Boden. Dieter Gombert und Nick Wenserit beginnen intuitiv mit der Herzdruckmassage. Josh Wenserit, der inzwischen das Handy seines Bruders an sich genommen hat, gibt die Anweisungen weiter, die er von Timo Schmahl erhält. Derweil begibt sich David Failing auf den Weg in Richtung Parkplatz, um den Krankenwagen einzuweisen, der gerade von Ehringshausen aus in Richtung Berghausen unterwegs ist.

„Sieben Minuten“, betont Nick Wenserit, „hat es vom Notruf bis zum Eintreffen des Krankenwagens gedauert“. Sieben Minuten, die sich wie eine Ewigkeit angefühlt haben, darin sind sich die späteren Lebensretter einig. Als der Krankenwagen, und kurze Zeit später auch der Notarzt eintreffen, gibt es einen ersten Hoffnungsschimmer. Der Puls sei langsam wieder da, wenn auch unregelmäßig, schildern die Rettungskräfte gegenüber den Ersthelfern.

Bis zum Eintreffen des Helikopters dauert es eine weitere halbe Stunde. Eigentlich soll Hartmut Moos umgehend ins Klinikum nach Marburg gebracht werden, doch weil dort – anders als zunächst vermutet – kein einziges Intensivbett mehr frei ist, fliegt der Helikopter ins Klinikum nach Siegen. „Erst während des Fluges haben wir das so entschieden“, betont Timo Schmahl.

Ob Hartmut Moos eine realistische Überlebenschance hat, ist zu diesem Zeitpunkt ungewiss. „Wahrscheinlich schaffen wir es, ihn lebend in die Klinik zu bringen“, lauten die letzten Worte der Rettungskräfte in Richtung der vier Aßlarer, denen nun nichts anderes mehr übrig bleibt, als für ihren Freund zu beten.

Gebete, die erhört werden sollten. Noch am Abend sickert die frohe Kunde aus Siegen bis nach Aßlar durch, dass Hartmut Moos, der inzwischen ins künstliche Koma gelegt wurde, die erste Nacht in der Klinik überleben wird. Sein Zustand stabilisiert sich und nach einer Woche ist der 61-Jährige wieder wach. Geistige oder körperliche Folgeschäden gibt es keine.

Als einen „ganz besonderen Moment“ schildert Nick Wenserit den Augenblick, als er, sein Bruder Josh und David Failing ihren Freund Hartmut Moos kurz darauf in Siegen besuchen. Auch wenn aufgrund der damaligen Pandemielage lediglich Einzelbesuche nacheinander gestattet sind.

Schon nach drei Wochen darf Hartmut Moos schließlich wieder nach Hause. „Ich glaube“, sagt der 61-Jährige rund eineinhalb Jahre später, „ich bin heute wieder der Alte.“ Mit dem Unterschied, dass er viele Dinge eigenen Angaben zufolge bewusster und entspannter sieht, als vor dem tragischen Vorfall.

Mit jeder Minute sinkt die Überlebenschance

Ohne den Einsatz von Nick und Josh Wenserit, David Failing und Dieter Gombert wäre Hartmut Moos wohl nicht mehr am Leben. „Diese Minuten waren entscheidend“, lobte Landrat Wolfgang Schuster (SPD), der den vier Männern aus Aßlar mit einer öffentlichen Belobigung des Landes Hessen nun für ihren „vorbildlichen Einsatz“ dankte.

„Mit jeder Minute sinkt die Überlebenswahrscheinlichkeit in solchen Fällen um zehn Prozent“, betonte Kreisbrandinspektor Harald Stürtz, der genau wie Landrat Schuster die Möglichkeit nutzte, um Werbung für die Auffrischung des Erste-Hilfe-Kurses zu machen. „So etwas kann jedem jederzeit passieren“, verdeutlichte Schuster.

„Wir haben das getan, was jeder in solch einer Situation getan hätte“, entgegnete Nick Wenserit stellvertretend für die vier Lebensretter. „In so einer Situation funktioniert man und wir sind einfach nur froh, dass wir helfen konnten“. Gleichwohl sei ihm bewusst, dass von Anfang bis Ende alles perfekt funktioniert habe. Von den Anweisungen der Zentralen Leitstelle in Person von Timo Schmahl bis zu den Ärzten im Klinikum Siegen.

Trotz der turbulenten und beinahe tödlichen gemeinsamen Premiere der vier Freunde auf dem Fußballplatz, soll das letzte Spiel beim Stand von 7:7 schon bald zu Ende gespielt werden. Den Ehrgeiz, auch diese Partie unbedingt gewinnen zu wollen, wird Hartmut Moos, der an jenem Samstag im April jede Menge Schutzengel bei sich hatte, wohl nicht verloren haben.