Der Fachkräftemangel in der Pflege in Deutschland ist groß. Sollte man auf künstliche Intelligenz setzen und Roboter einsetzen? Ein Pro & Contra aus der Redaktion.
WETZLAR. Der Fachkräftemangel ist in kaum einer anderen Branche so greifbar wie in der ambulanten und stationären Pflege. Gleichzeitig schreitet auch dort die Digitalisierung rasant voran. Aber wie sieht es in Zukunft aus - pflegen uns bald Roboter? Es birgt Vor- und Nachteile. Ein "Pro & Contra" von unserem Chefredakteur Uwe Röndigs und unserem Weilburger Redakteur Mika Beuster.
Pro - von Uwe Röndigs
Die Zahlen sprechen für sich: Rund 4,2 Millionen Menschen in Deutschland sind pflegebedürftig. Über 800 000 davon werden in Pflegeheimen stationär betreut. Ein Kraftakt! Wer genau hinsieht, weiß, dass sich die Situation in der Betreuung zuspitzt. Belastungen bis ans Ende, zu wenig Personal, Schichtdienste ... die Situation ist schon längst mehr als prekär. Müssen da nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um alle Beteiligten - Pflegebedürftige, Angehörige und Beschäftigte - zu entlasten? Digitale Helfer könnten die Versorgung Pflegebedürftiger in Zukunft unterstützen. Es gibt jetzt schon "soziale Assistenten", die bei der Strukturierung des Alltags helfen wie Apps, dann gibt es Pflegeroboter und sogar elektronische "Haustiere" zu Therapiezwecken. Skurril? Geht Menschlichkeit verloren?
Es ist ungewohnt, darüber nachzudenken, wo Technik in der Pflege arbeitsaufwändige Routinen übernehmen kann. Aber man sollte es! Es gibt Gott sei Dank in der Pflege schon so viele Hilfsmittel, die gerade für die Beschäftigten die Versorgung einfacher machen. Warum nicht Technik einsetzen beim Lagern, bei der Medikamentengabe, bei der Ausgabe von Essen - um ... ja, um was? Menschen das machen zu lassen, was für die Pflegebedürftigen am wichtigsten ist: Ihnen Zuwendung zu geben und ihnen zuzuhören. Da müssen Ethiker ran! Warum nicht alle Tätigkeiten prüfen? Dabei könnte vielleicht auch herauskommen, dass Pflegebedürftige bei manchen körperlichen Pflegeakten Scham empfinden und von sich aus lieber auf Technik zurückgreifen. Vorausgesetzt, Gefahren der Nutzung sind ausgeschlossen und es kann jederzeit ein Helfer oder eine Helferin eingreifen.
Wie das bei komplizierten ethischen Themen so ist: Die Grenzen müssen klar benannt werden. Zu allererst: "Automatisierung" darf nie zu Entmenschlichung führen. Physische Unterstützung, ja; kognitive Aufgaben, ja; aber emotionale und soziale Bedürfnisse sind auf Menschen gerichtet und werden nur dort befriedigt werden können. Der Mensch braucht ein Gegenüber, das ihn wahrnimmt! Und der Mensch darf nie zum bloßen Objekt gemacht werden. Wer aber auf den Alltag der Pflege schaut, wird hoffen, dass Hilfsbedürftige ihre digitalen Helfer zunehmend in den Alltag integrieren und sie ein Stück Normalität werden - so wie der gute, analoge Rollator, der es auch ganz schön schwer hatte.
Contra - Mika Beuster
Hohe Arbeitsbelastung, aber oftmals vergleichsweise geringe Entlohnung, große Verantwortung für Menschen, aber wenig Anerkennung - Pflegerinnen und Pfleger leisten Großartiges, erfahren aber zu wenig Unterstützung aus Gesellschaft, Politik, uns allen.
Die Corona-Krise hat gezeigt, auf was es am Ende ankommt: engagierte Menschen. Klar, Technik kann die Arbeit stellenweise erleichtern. Doch wie sieht die Realität aus? Oftmals ist doch das Gegenteil der Fall. Statt Entlastung sorgt die Technik vielmals für Mehrarbeit, etwa, wenn Mitarbeiter in Heimen von Bürokratie erschlagen werden und am Computer oftmals von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten werden. Wirklich hilfreiche digitale Hilfe gibt es in der Branche vielleicht in Pilotprojekten, in der Fläche aber nicht. Anders als in der Hochleistungsmedizin, wo Roboter mittlerweile Operationen unterstützen oder gar durchführen, gibt es im Bereich der Pflege derartiges noch nicht. Nun also sollen ausgerechnet "soziale Roboter" für Entlastung der Mitarbeiter sorgen?
Eine nette Idee. Auf den ersten Blick. Aber nach jahrzehntelanger Vernachlässigung von Debatten wie gerechter Bezahlung der Mitarbeitenden, Fachkräftesicherung, Sicherung der Qualitätsstandards in der Pflege, Weiterentwicklung einer solidarischen und gleichzeitig zukunftsfähigen Finanzierung des Pflegesystems nun ausgerechnet nette Spielzeuge als Lösung zu präsentieren, das ist verhaltensoriginell. Denn mehr als Spielzeug ist das, was hier vorgestellt wird, bislang nicht. Er kann nicht schwer heben, keine fachgerechte Pflege - er kann aber auch zentrale Dinge nicht. Kollege Roboter kann all das nicht, was empathische Fachkräfte können - sich wertschätzend um jene kümmern, die Hilfe nötig haben. Individuelle Bedürfnisse erkennen. Spontan reagieren. Und vor allem: Menschliche Zuwendung spenden.
Klar, sicher gibt es spannende Gimmicks, mit denen der Roboter begeistern kann. Ist es das wert? Nein, statt das wenige Geld, das wir als Gesellschaft für Pflege offenbar auszugeben bereit sind, für teure und weitestgehend bislang nutzlose Spielzeuge zu vergeuden, sollten wir in jene investieren, die tagtäglich "den Laden" Pflege am Laufen halten - die Menschen. Bessere Bezahlung, besser Arbeitsbedingungen, bessere personelle Ausstattung. Das hilft nicht nur denen, die unsere Lieben pflegen. Es hilft auch allen, die Pflege nötig haben.