
Der Busverkehr in Wiesbaden soll bis 2024 völlig umgekrempelt werden. Auch der Rheingau-Taunus-Kreis erhofft sich neue Impulse im Planungsprozess. Und die Bürger sollen mitreden.
Wiesbaden . Besser an den Bedürfnissen der Fahrgäste orientiert und verständlich - so sollen die neuen Nahverkehrspläne für Wiesbaden und den Rheingau-Taunus-Kreis gestaltet sein. Das Pressegespräch zum Auftakt fand an der Nahtstelle statt: Im Jagdschloss Platte berichteten die beiden Verkehrsdezernenten Andreas Kowol (Grüne) aus Wiesbaden und Günter F. Döring (SPD) vom Rhein-Taunus-Kreis und Vertreter der Lokalen Nahverkehrsorganisationen (LNO), wie das aussehen könnte. Dabei wollen sie auch die gemeinsamen Verbindungen stärken.
„Wir wollen einen Busverkehr, der möglichst attraktiv, klar strukturiert und leicht begreifbar ist”, sagte Sandra Beege, die Leiterin der Lokalen Nahverkehrsorganisation, die in Wiesbaden bei Eswe Verkehr angesiedelt ist. Auch umwelt- und klimafreundlich soll er sein. „Wir wollen Menschen von zu Hause abholen, damit einige zumindest das Zweitauto abschaffen können”, ergänzte Döring. Um das zu verwirklichen haben sich Stadt und Kreis zwei Partner ins Boot geholt: Das Unternehmen „ioki” entwickelt Mobilitätslösungen für den öffentlichen Nahverkehr der Zukunft. Dazu greift es auf vielerlei Daten zum Mobilitätsverhalten zurück und erstellt eine Simulation. Die Firma „Planersocietät” ist ein Verkehrsplanungsbüro und beratend tätig. „Unser Bussystem stammt von 1969”, erinnerte Beege. Es müsse dringend „objektiv” überplant werden, indem man die technischen Möglichkeiten nutze. „Keiner versteht etwa heute noch die Linienbezeichnungen”, sagte sie.
Der neue Nahverkehrsplan, für Wiesbaden ist es der vierte, wird bis 2030 gelten. Darin sind alle Kriterien erfasst, die den Betrieb des öffentlichen Personennahverkehrs regeln. Dazu gehören Qualitätsstandards wie etwa die Ausstattung der Busse und Haltestellen Das Liniennetz wird völlig auf den Kopf gestellt. Für manche kann das bedeuten, dass ihre bevorzugte Verbindung wegfällt. „Es könnte emotional werden”, sagte Patrick Düerkop, Projektleiter bei der Wiesbadener LNO. Deshalb wird Bürgerbeteiligung groß geschrieben. „Sie ist ein zentraler Bestandteil für Akzeptanz und Erfolg”, sagte Düerkop.
Mehr Fahrgäste für den ÖPNV begeistern
Die Bürgerbeteiligung soll bereits im Frühjahr 2023 beginnen. Geplant sind Präsenzveranstaltungen, aber auch Onlineforen. Der Entwurf des Plans wird erneut zur Diskussion gestellt. Politisch verabschiedet werden könnte der Nahverkehrsplan dann 2024. Eine Million Wege am Tag legen die rund 280.000 Bewohnerinnen und Bewohnern von Wiesbaden zurück, berichtete Kowol. Etwa 500.000 Fahrten innerhalb Wiesbadens werden mit dem Auto zurückgelegt. Zu viele, wie nicht nur der grüne Verkehrsdezernent findet. Im Rheingau-Taunus-Kreis werde sogar für mehr als 80 Prozent der Wege das Kfz benutzt. Deshalb ist eines der Hauptziele des Nahverkehrsplans, mehr Fahrgäste in den ÖPNV zu bekommen.
„Wir wollen schauen, ob unser Liniennetz noch zeitgemäß ist”, sagte Kowol. So wolle man etwa darüber nachdenken, mehr Tangentiallinien zu schaffen, die also nicht durch die Innenstadt führen. Zu den Zukunftsplänen gehöre aber auch die Reaktivierung der Aartalbahn, die Wallauer Spange und die Ländchesbahn. 61 Millionen Fahrgäste hatte Eswe Verkehr im Jahr 2019. Mit Corona kam dann ein Einbruch. „Unser Ziel sind 80 bis 90 Millionen Fahrgäste”, gibt Kowol die Richtung vor. „2030 vielleicht sogar 100 Millionen.” Im Gegenzug sollen die Autofahrten auf unter 400.000 pro Tag gesenkt werden.
Die letzte Fortschreibung des Nahverkehrsplans stammt aus dem Jahr 2015. Auch bei diesem haben Wiesbaden und der Kreis gemeinsam gearbeitet. „Arbeiten, Einkaufen, Freizeit - wir haben viele Berührungspunkte”, sagte Döring. 18.000 Pendler fahren täglich aus dem Kreis nach Wiesbaden, umgekehrt sind es immerhin noch 5000. Schon zum Fahrplanwechsel im Dezember erweitert der Kreis seine Buskapazitäten massiv. Der Kreistag hat dafür zusätzlich neun Millionen Euro zur Verfügung gestellt. „Eine Verdoppelung”, berichtete Döring.
Versuche mit autonomem Fahren geplant
Das Planungsbudget beträgt 570.000 Euro. Es soll weiterhin weitgehend auf emissionsfreien Antrieb gesetzt werden und auf innovative Formate. In Taunusstein gibt es bereits On-Demand-Kleinbusse, also flexible Angebote ohne festen Fahrplan und Linienführung. Bald soll es sie auch in Idstein geben. Im kommenden Jahr sind zudem Versuche mit autonomem Fahren im Rhein-Main-Gebiet geplant. In Wiesbaden waren On-Demand-Angebote von der Stadtverordnetenversammlung wegen der hohen Kosten zunächst gekippt worden, doch sie würden „mitgedacht”, ebenso größere Fahrzeuge wie Doppelgelenkbusse. Und wie geht man bei den Planungen mit dem akuten Fahrermangel um? „Wir hoffen, dass er temporär ist und wir bald wieder zum regulären Fahrplan übergehen können”, sagte Beege. Einsparungen solle es nicht geben: „Die vorhandenen Ressourcen wollen wir mindestens erhalten.”