Eckhart Nickel liest aus seinem Roman „Hysteria“

Der Autor Eckhart Nickel bei der Blind-Date-Lesung in der Groß-Gerauer Buchhandlung Calliebe. Foto: Vollformat/Volker Dziemballa
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Am Mittwoch war der Autor Eckhart Nickel Überraschungsgast der „Blind-Date-Lesung“ in der Buchhandlung Calliebe. Er hatte sein neustes Werk mitgebracht. Das Buch steht auf...

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GROSS-GERAU. Der Roman „Hysteria“ von Eckhart Nickel passt in kein Genre. Ist es ein Öko-Krimi? Eine Liebesgeschichte? Eine wundersame Fantasie? Es finden sich Spuren von all dem in diesem Buch, das in seiner Fülle vielleicht missglückt wäre, wäre der Autor nicht ein Meister der Sprache, einer, der um das Gewicht der Worte weiß.

Am Mittwoch war Eckhart Nickel Überraschungsgast der „Blind-Date-Lesung“, zu der die Buchhandlung Calliebe in Kooperation mit Stadtmuseum und Stadtbücherei eingeladen hatte. Katina Lepel von der Buchhandlung und Redakteur Jörg Monzheimer moderierten diesen Leckerbissen für Literaturfreunde. „Eckhard Nickel? Kenn ich nicht“, lauteten erste Reaktionen, nachdem Jörg Monzheimer den Namen des Autors gelüftet hatte. Doch dann ging das neugierige Zuhören in fasziniertes Lauschen über. Nickel steht mit dem Roman „Hysteria“ auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Monzheimer referierte, dass der Autor 2017 im Rahmen des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs einen der fünf Preise – den „Kelag-Preis“ – erhielt. Damals hatte der 1966 geborene Kunsthistoriker und Germanist aus Frankfurt die Jury mit Kurzprosa überzeugt, die unter dem Titel „Auf dem Markt“ nun das erste Kapitel des Romans stellt.

Zitat von Ernst Jünger dem Roman vorangestellt

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Dieser Text rückt die Himbeere in den Blick des hypersensiblen Erzählers Bergheim, und wenn Monzheimer anmerkte, es handle sich um eine in der Deutschen Literatur wohl einmalig intensive Beschreibung der Himbeere, so mutete dies heiter an. Doch als Nickel die Passage las, in der er das tiefe Rot der beklemmend wuchernden Frucht mit dem roten Samt verglich, der zuweilen die Fenster von Totenwagen verhängt, war klar: Hier entstehen eindrucksvolle Sprachgebilde, die sich an einer beängstigenden Gegenwart entzünden und Auswüchse schlimmster Befürchtungen durch Fantasie bändigen. „Es ist ein wunderlicher Vorgang, wie die Fantasie gleich einem Fieber von unserem Leben Besitz ergreift“, lautet nicht umsonst ein Zitat von Ernst Jünger, das Eckhart Nickel dem Roman voranstellt.

Mit seiner Sprachkunst kreiert Eckhart Nickel eine atmosphärisch dichte Welt, zaubert Figuren plastisch hervor. Wenn auch die gelesenen Passagen die Einordnung in den Überbau einer ökodiktatorisch regierten Welt sowie in die Verknüpfung des Geschehens auf zwei Zeitschienen nicht vollends erlaubte, so ergab doch jede Szene allein ein wundersam fesselndes Bild: Betörend war der Auftritt des Buchhändlers Weiss inmitten überladener Bücherregale, während leise der Samowar schnaufte. Aus dem Hintergrund holte der Autor die Gehilfin Kirsten Ofen hinzu, „notorisch schüchtern aus ihren tiefliegenden, runden Augen schauend“. Und wenn diese Kirsten die Fenster der Buchhandlung zu dekorativen Schaukästen der Literatur machte, stand der Autor als ein Verehrer der großen Literatur mit im Bild: E.T.A. Hoffmans trauriger Nathanael aus dem „Sandmann“ findet ebenso Platz wie der feiste Buck Mulligan aus „Ullysees“. Verweise auf Robert Musil, auf Schopenhauer und andere fehlen nicht, durchsetzen die Geschichte, die von Liebe, Angst, Tod und Untergang sowie von der Frage, welche Spuren unser Leben hinterlässt, erzählt. Als Nickel verriet, dass Thomas Manns „Zauberberg“ ein Buch sei, das er sehr bewundere, erstaunte dies nicht. Monzheimer merkte an, der Roman „Hysteria“ sei nicht leicht konsumierbar und Katina Lepel sprach von einem Buch, das man zweimal lesen müsse. Nickel: „Literatur, die ich bewundere, öffnet ganz viele Fenster. Wenn Bücher nachhaltig beschäftigen, ist dies genau richtig.“