GERNSHEIM - Am Dienstagmorgen zwischen 9 und 11 Uhr wird die neue, sechste Glocke für das Geläut der katholischen Pfarrkirche in den Glockstuhl gehievt. Der Beginn des seltenen Schauspiels verzögert sich jedoch. „Der Kranwagen kommt erst um 10 Uhr“, verkündet Heinrich Bolenz vom Verwaltungsrat kurz nach 9, ab 10.15 Uhr sei mit Beginn der Arbeiten zu rechnen.
Immerhin ist schon zu erkennen, wo das Instrument einmal ankommen soll: Hoch auf der Westseite des Kirchturms ist unterhalb der Uhr ein Teil des Schallladens entfernt worden. „Von der Ostseite kommen wir nicht ran, und die Art der Aufhängung lässt dann nur noch die Westseite zu“, erläutert Bolenz. Das Geläut von St. Maria Magdalena ist nämlich zweireihig angeordnet, jeweils drei Glockengefache übereinander. Fünf von ihnen sind besetzt. Das letzte soll die „Neue“ aufnehmen. Ist sie aufgehängt, haben die Gernsheimer eines der größten Geläute im Bistum Mainz.
Eine dreiviertel Stunde später haben sich am Fuß des Zwiebelturms gut 100 Schaulustige versammelt, und auch der Kranwagen ist mittlerweile angekommen und in Position gebracht. Passierende Autofahrer beäugen den Auflauf neugierig, und einer kommt fast von der Straße ab.
Zeiger der Turmuhr werden angehalten
Drei Mann hoch sind Mitarbeiter der Firma Schneider Turmuhren und Glockentechnik mit den Vorbereitungen beschäftigt, legen Balken, Läutemotor, Tragriemen und Glockenjoch auf dem Boden zurecht. „Die Kunststoffschlaufen halten bis zu einer Tonne Gewicht“, erläutert Michael Schneider, der auch erklärt, dass das Glockenjoch in einem Kugellager liegt und die 244-Kilogramm-Glocke in einem Winkel von 65 bis 70 Grad kontrolliert schwingen lässt. Der Klöppel sei aus Stahl nach Maß gefertigt.
Am Turmfuß gehen derweil die Arbeiten weiter. „Normalerweise räumen wir ein Schallloch ganz frei“, erklärt Glockentechnik-Mitarbeiter David Kloft. Bei St. Maria Magdalena allerdings sei das nicht möglich, weil das Zifferblatt der Turmuhr an den Schallladen montiert sei. Nur die Zeiger seien angehalten worden. Derweil werden am Turm vier kräftige Balken zum Glockenstuhl gehoben. Sie sind aus dauerhaftem Douglasienholz, so Kloft. Aus ihnen soll eine Art Unterkonstruktion für das Joch entstehen. Michael Schneider nimmt sie in der Höhe vorsichtig in Empfang, damit an dem doch recht eng bemessenen Einfuhr-Loch nichts beschädigt wird. Es folgen der Elektromotor für das Läutewerk und schließlich das rund 30 Kilogramm schwere Glockenjoch. Kloft: „Das ist aus Eichenholz, das hält die nächsten 1000 Jahre.“
Kinder holen die Glocke aus der Kirche
Da begleitet schon eine Gruppe Kinder die neue Herz-Jesu-Glocke, die in Frankreich gegossen und in Maria Laach erstanden wurde, aus der Kirche ins Freie. Ein Gebet wird gesprochen. Und plötzlich geht allesganz schnell: Die Glocke wird mit einer der Tragschlaufen am Kran befestigt, dann schwebt sie zügig nach oben, Michael Schneider und David Kloft nehmen sie in Empfang, ziehen sie an einer zweiten Schlaufe in den Glockenstuhl – vorsichtig, es ist Millimeterarbeit. Drinnen übernimmt ein Flaschenzug die Arbeit des Krans.
Bis in den Nachmittag werden die Aufhängungs- und Anpassungsarbeiten noch dauern, berichtet Pfarrer Markus Konrad. Um 17 Uhr, schätzt er, werden die Gernsheimer ihre neue Glocke zu ersten Mal hören. Das komplette Geläut soll in der Osternacht zum ersten Mal erklingen.