Mit der Aktion „Say their Names“ wird auch in Darmstadt der Opfer des rechten Terroranschlags gedacht. Doch die Plakate werden weiterhin zerstört, wie ein Bürger dokumentiert hat.
DARMSTADT. Es ist ein Gedenken unter erschwerten Bedingungen: Unter dem Slogan „Say their Names“ (Sagt ihre Namen) erinnern Aktivisten und Zivilgesellschaft an die Opfer des Hanauer Anschlags vom 19. Februar 2020. Der 43 Jahre alte Attentäter hatte aus rechtsextremen und rassistischen Wahnvorstellungen heraus neun Hanauer mit Migrationshintergrund ermordet und anschließend seine Mutter und sich selbst erschossen. Im Stadtbild Darmstadts sind die Opfer stets präsent: auf Plakaten, die an Litfaßsäulen, Stromverteilerkästen, Mülleimern und Laternenpfählen angebracht wurden. Doch die Plakate sind vor Schändungen und Vandalismus nicht sicher: Auch ein Jahr, nachdem diese Zeitung im April über Schmierereien berichtet hat, nehmen die Zerstörungen kein Ende. Der Darmstädter Joachim Grebe hat rund 80 dieser Taten dokumentiert – und sie in Form einer Collage zusammengefasst. Auch die Staatsanwaltschaft beschäftigt sich mit den Vorfällen.
Namen der Opfer übermalt oder abgerissen
Für Grebe ist es unverständlich, warum jemand „mit so viel krimineller Energie den Erinnerungsprozess zu behindern versucht“. Wann immer er beim Spazierengehen oder Einkaufen unterwegs ist und sein Handy griffbereit hat, dokumentiert er die Schändungen. In der Innenstadt, Bessungen, im Woogs- und Paulusviertel ist er bereits darauf aufmerksam geworden. Die Beschädigungen sind vielfältig: Mal sind die Namen der Opfer übermalt, mal abgekratzt oder abgerissen. Vor einem Jahr hatten Unbekannte einige der Plakate obendrein mit dem Wort „Lüge“ überschrieben.
Nach Angaben des Darmstädter „Bündnisses gegen Rechts“ werden Exemplare auch in geschützten Bereichen ausgehängt – in Fenstern oder Kneipen, wo sie von Zerstörungen bislang verschont blieben. Das Bündnis hält seinerseits die Erinnerung an die Hanauer Opfer wach und hatte zum Jahrestag zu einer Gedenkveranstaltung eingeladen, die im Vorfeld allerdings zu Verwerfungen zwischen Aktivisten und OB Jochen Partsch (Grüne) führten (wir haben berichtet). Das Bündnis warf dem OB vor, sich einer Erinnerungskultur zu verwehren, was selbiger als „Verleumdung“ scharf zurückwies. Auch stellte die Stadt klar, dass sie mit einzelnen politischen Organisationen des Bündnisses nicht zusammenarbeiten wolle.
Unter der Internetadresse www.demokratie-leben-hanau.de können Bürger ihre Anteilnahme ausdrücken und eigene Postings erstellen. Das Programm wird von Bund und Land unterstützt, außerdem hat die Amadeu-Antonio-Stiftung Hintergründe zu den Ermordeten zusammengetragen. Wer die „Say their Names“-Plakate letztlich an verschiedenen Stellen der Stadt anbringt, können weder „Bündnis gegen Rechts“ noch die Staatsanwaltschaft Darmstadt sagen. Deren Sprecher Robert Hartmann betont, dass das Beschmieren und Zerstören „nicht bloße Sachbeschädigungen sind“, sondern auch den Verdacht der Volksverhetzung erfüllen können. „Dann ermitteln wir von Amts wegen.“ Mehrere Verfahren seien angestoßen, einen oder mehrere Täter zu identifizieren sei aber äußerst schwierig. Die Ermittlungsverfahren selbst liefen durchweg „gegen Unbekannt.“
Verschandelte Aushänge werden nachgeklebt
Faktisch werden geschändete Plakate aber regelmäßig nachgeklebt, wie auch Fotograf Grebe beobachtet hat. Entweder anhand von Namensstreifen, die über die geschwärzten Namen übergeklebt werden, oder es wurden zusätzliche Plakate aufgehängt. Zum Teil bringen auch jene politischen Kräfte, die eine Erinnerungskultur wachhalten wollen, selbst Botschaften an: „Hey Brauner, du kannst mehrfach ein Plakat zerstören, am nächsten Tag hängt wieder eines da. Wir sind mehr!“, haben die Verfasser auf einem Zettel erwidert, den Grebe ebenfalls bildlich festgehalten hat.
Eine Sisyphosarbeit, wie Grebe nach einem Jahr der Langzeitbeobachtung findet: „Ich schätze, dass manche Plakate diese Metamorphosen ein halbes Dutzend Mal mitgemacht haben.“ Der Anblick völlig verschandelter Aushangzettel habe ihn jedenfalls tief berührt, daher die Motivation, eine Collage anzufertigen. „Mit ihnen möchte ich den Kampf um das Erinnern dokumentieren.“
Von André Heuwinkel