Darmstädter OB-Wahl „sehr deutliche Warnung an die Grünen”

Wie die Grünen zu dem geworden sind, was sie sind: Der Aufstieg der Grünen in Darmstadt, das besondere Jahr 2011 mit zwei gewonnen Wahlen und wie sie damals die SPD vom Spitzenplatz verdrängt haben, das zeichnet der langjährige Chef der Lokalredaktion Harry Pleines in einem Interview nach.
© Sascha Lotz

Der ehemalige Echo-Lokalchef Harald Pleines blickt zurück auf den Aufstieg der Grünen in Darmstadt. Über zehn Jahre hat die Partei die Kommunalpolitik in der Stadt bestimmt.

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Herr Pleines, wann haben Sie die Leitung der Echo-Lokalredaktion Darmstadt übernommen?

Das war im Jahr 2008.

Zu dem Zeitpunkt gab es in Darmstadt eine seit dem Krieg ungebrochene Folge von SPD-Oberbürgermeistern. Auch im Stadtparlament war die SPD zumeist tonangebend. Haben Sie seinerzeit Anzeichen gesehen, dass sich daran absehbar etwas ändern würde?

Anfangs war das nicht sicher, aber ich habe bei Gesprächen öfters gehört, mehr als 60 Jahre SPD-Vorherrschaft seien genug, es seien ja Verhältnisse wie mit der CSU in Bayern. Ich hatte immer mehr das Gefühl, die Leute wollten mal etwas Anderes. Heute würde man sagen, es gab eine latente Wechselstimmung.

Oberbürgermeister war der Sozialdemokrat Walter Hoffmann, dessen Verhältnis zur eigenen Partei nicht ungetrübt war.

Ihm wurde – wahrscheinlich zurecht - vorgeworfen, viele Alleingänge zu unternehmen, ohne seine Partei zu informieren. Es gab eine gewisse Entfremdung zwischen der SPD-Basis und dem Oberbürgermeister.

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Fehler und Abnutzung der SPD allein können allerdings nicht den Aufstieg der Grünen erklären, die 2011 mit kurzem Abstand die OB- und die Kommunalwahl gewannen und seither die mit Abstand stärkste Fraktion im Stadtparlament stellen. Was haben sie richtig gemacht?

Sie haben Themen aus der großen Politik aufs Lokale angewandt. Damals war noch nicht von der Klimakrise die Rede, wohl aber von den Grenzen des Wachstums. Verstopfte Innenstädte, immer mehr Flächenverbrauch – Umweltschutz war schon länger ein Thema, aber man hatte noch nicht bemerkt, dass dies auch lokale Konsequenzen hatte.

Gab es ein beispielhaftes großes Thema in Darmstadt?

Die Nordostumgehung. Die geplante neue Straße sollte vorgeblich den Verkehr flüssiger machen, aber Kritiker haben eingewandt, dass das Gegenteil eintreten werde. Die von den Grünen vertretenen Grundsätze sind peu à peu in die Kommunalpolitik übergegangen. Darmstadt ist ja eine Stadt der Bürgerinitiativen. Aus dieser Klientel konnten die Grünen schöpfen. Viele Menschen waren in der Stadt politisch aktiv – nicht nur im Studentenalter, sondern auch Ingenieure oder Wissenschaftler, die gesagt haben: Was die Grünen da wollen, ist auch unser Anliegen.

Wie die Grünen zu dem geworden sind, was sie sind: Der Aufstieg der Grünen in Darmstadt, das besondere Jahr 2011 mit zwei gewonnen Wahlen und wie sie damals die SPD vom Spitzenplatz verdrängt haben, das zeichnet der langjährige Chef der Lokalredaktion Harry Pleines in einem Interview nach.
Die Darmstädter Grünen hätten spät begonnen, für ihre verkehrspolitische Position zu werben, meint Harald Pleines.
© Sascha Lotz

Die CDU wäre auch noch da gewesen, um das Erbe der SPD anzutreten. Gab es dafür eine Chance?

In der Wissenschaftsstadt gab es schon damals viele Initiativen und Startup-Unternehmen, kreative Leute an den Hochschulen - kritische Geister, die gewohnt waren, flexibel zu denken. Die zum Teil altbackene CDU konnte da kein Land gewinnen.

Welche Rolle spielten prominente Einzelpersonen beim Aufstieg der Grünen – beispielhaft seien genannt Jochen Partsch, Daniela Wagner, Brigitte Lindscheid, Barbara Akdeniz, Hildegard Förster-Heldmann?

Es gab einen bestimmenden Kreis, eine Handvoll Personen, die den Kurs bestimmten, die Parteibasis hat kaum mitgeredet. Im Gegensatz zu anderen Parteien hat man bei Grünen-Parteiversammlungen wenig Widerspruch gehört.

Also: eine sehr disziplinierte Partei.

Diszipliniert, man könnte auch sagen: lammfromm.

Schlüsselthema Verkehr spät angepackt

Gab es jemanden, der in der Führungsgruppe besonders wichtig war?

Frau Lindscheid hatte sicherlich den Ehrgeiz, da mitzureden. Es gab in der Anfangszeit noch Klaus Feuchtinger, der mehr auf der Sachebene mitgesprochen hat. Ansonsten hatte ich den Eindruck, dass der Herr Partsch den Kurs vorgab, und der Rest folgte ihm.

Partsch hat auch die Gabe, als Redner gut die Menschen zu erreichen.

Ja, man trifft selten Politiker, die wie er über eine Stunde lang frei reden können – und zwar so, dass es auch noch Hand und Fuß hat.

Haben die Grünen, nachdem sie in der Verantwortung waren, ihre Schlüsselthemen von Anfang an kraftvoll angepackt?

Nein. Das war ein wunder Punkt, gerade beim Thema Verkehr. Wenn man schon das Bewusstsein hat, dass es in den überfüllten Innenstädten so nicht weitergehen kann, hätte man sich schon wünschen können, dass dann auch energische Schritte gemacht werden. Erst in den letzten zwei bis drei Jahren ist das jetzt geschehen – und trifft auf Widerstand der Bürger, die den Eindruck haben, ihnen wird etwas weggenommen. Die Grünen haben sehr spät begonnen, für ihre Position zu werben. Durch ihre starke politische Stellung in Darmstadt haben sie vielleicht zu wenig Aufmerksamkeit darauf gerichtet, die Bevölkerung mitzunehmen. Dass wir jetzt einen Oberbürgermeister Hanno Benz bekommen, der damit geworben hat: „Wir nehmen alle mit“, das deutet darauf hin, dass auch andere das Defizit der Grünen erkannt haben.

Unterm Strich heißt das also: Spät begonnen mit der Verkehrswende und noch später begonnen, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen.

Ja. Dass es so lange gedauert hat, ist umso erstaunlicher, weil der Herr Partsch ja selbst immer publikumswirksam mit dem Fahrrad durch die Stadt fährt.

Die Grünen sind bei der Kommunalwahl 2021 wieder stärkste Partei geworden, haben jetzt aber die OB-Wahl verloren. Nur eine Ergebnisdelle, oder Anzeichen für einen Machtverschleiß?

Es ist eine sehr deutliche Warnung an die Grünen, dass sie ihre Politik sehr viel mehr erklären müssen. Die Attitüde, dem Volk sagen zu wollen: Wir wissen, was gut für euch ist, und wir machen das jetzt – das geht heute nicht mehr, und es wird ein großes Problem für die Grünen, wenn sie diesen Eindruck nicht abstellen können.