Breiter und sicherer sollen Darmstadts Fahrradstraßen werden. Dafür müssen die Autos weichen – nicht nur vom Straßenrand, sagen Fachleute.
Darmstadt. Mehr Fahrradstraßen mit mehr Platz und Sicherheit für Radler und Fußgänger wollen die städtischen Verkehrsplaner schaffen – aber sind Darmstadts Straßen überhaupt breit genug dafür?
Sieben Strecken will die Verwaltung Zug um Zug umgestalten (wir haben berichtet). Die sollen zeitgemäßen Standards entsprechen; die bisherigen Fahrradstraßen erfüllen diese nicht. Da geht es vor allem ums sichere Überholen und den Schutz der Radler vor sich öffnenden Wagentüren. Viele Kommunen arbeiten derzeit daran, das vorbildliche Münster ebenso wie Frankfurt. Die Darmstädter stehen vor besonderen Herausforderungen, sagen Fachleute.
Denn die Wohnstraßen der älteren Quartiere bieten teils nicht genügend Platz, um die gewünschten Spurbreiten unterzubringen. Das sieht man am Woog in der Heinrich-Fuhr-Straße, die älteste Fahrradstraße der Stadt, ebenso in der Pankratiusstraße im Martinsviertel, wichtige Verbindung aus dem Bürgerpark-Viertel und Kranichstein in die City. Vier Meter breit soll die Fahrgasse hier mindestens sein. Das ist die aktuelle Empfehlung des Deutschen Instituts für Urbanistik, dem die Darmstädter folgen wollen. Eigentlich machbar in den meisten Straßen. Dazu kommen aber noch die Streifen für Fußgänger, für parkende Kraftfahrzeuge, Abstandsflächen zwischen Radlern und Autos.
Wenn alle Idealmaße erfüllt wären, bräuchte es 14,70 Meter Breite. Das passt fast nur auf großen Straßen wie der Mornewegstraße am Hauptbahnhof, die auch Fahrradstraße werden soll. Und die anderen? Bleiben lassen? Schmalere Spuren bauen?
Muss nicht sein, sagen die Fachleute. „Die Standards sind richtig“, sagt Professor Jürgen Follmann, Verkehrsexperte der Hochschule Darmstadt. Allerdings: „Man muss überlegen, was man alles in den Straßenquerschnitt reinpackt.“
Viele kurze Wege werden noch mit dem Auto gemacht
Das sieht auch David Grünewald so. Der Darmstädter engagiert sich für die Initiative Radentscheid. Die diskutiert mit der Verwaltung regelmäßig Ideen, wie mehr Menschen zum Umsteigen vom Auto aufs Rad zu ermuntern wären. Oder darauf, mehr Wege zu Fuß zu erledigen. Da geht noch einiges, glauben die Aktivisten.
Laut aktueller Statistik sieht es so aus: Rund die Hälfte aller innerstädtischen Wege bis zu fünf Kilometer machen die Darmstädter mit dem Auto; bei etwa 25 Prozent liegt der Anteil für Entfernungen bis zwei Kilometer. Sogar für Strecken zwischen 600 Metern und einem Kilometer wird das Auto verwendet, in etwa sieben Prozent der Fälle. Um Anreize zu schaffen, mal den Wagen stehen zu lassen, braucht es attraktive und sichere Rad- und Fußwege, sagt der Radentscheid. Die bekommt man hin, aber: „Bedingung dafür ist, dass die in Darmstadt bisherige Überbetonung von Kfz-Verkehr, fließend wie ruhend, zurückgenommen wird.“
Das bedeutet: Stellplätze auf beiden Seiten der Fahrgasse, das wird nicht mehr überall gehen. Grünewalds Rechnung: Wo Autos parken, ist eine zusätzliche Breite von zwei Metern für den Parkplatz plus 0,75 Meter Sicherheitstrennstreifen notwendig – pro Seite. Zu viel, damit noch der gewünschte Raum für Radler und Fußgänger bliebe.
Beim Beispiel Wilhelminenstraße hieße das: Platz zum Parken gibt’s künftig nur auf einer Seite. „In engeren Straßen, also bei Fahrbahnbreiten unterhalb von 6,75 Meter“, sagt Grünewald, „kann bei der Verwirklichung einer Fahrradstraße kein Parken mehr zugelassen werden.“
Forscher: Autofahrer muss sich unterordnen
Auch auf der Fahrbahn müssen sich die Kraftfahrer stärker zurücknehmen, sagt Wissenschaftler Follmann. Damit es mit den Spurbreiten für Radler und Fußgänger passt. „Der Autofahrer muss sich hier unterordnen, er ist nur Gast auf der Fahrradstraße“ – wenn überhaupt.
Klar, die Erschließung des eigenen Grundstücks müsse schon gewährleistet sein, sagt auch Verkehrsforscher Follmann. Vor allem für ältere Menschen und solche mit Handicap. Für alle anderen auch?
Viele könnten das auch auf ihren eigenen Grundstücken, in der Einfahrt, in der Garage. Für alle anderen sehen die Forscher ein großes Reservoir an freien Parkflächen – zumindest nach Ladenschluss. Follmann fragt: „Warum geben wir die Parkhäuser in der Stadt nicht nachts für die Anwohner in den angrenzenden Quartieren frei?“ Davon hätten auch die Betreiber der Parkhäuser etwas.
Auch die Parkdecks der Discounter könne man in dieser Art nutzen, ebenso Firmen-Parkplätze nach Feierabend: „Das lässt sich alles doppelt nutzen.“ Freilich: „Man muss den Leuten auch mal zumuten, 300 oder 500 Meter vom Parkplatz bis nach Hause zu laufen.“ Wirklich eine Zumutung? Follmann sieht das so: „Bei Bus-Haltestellen akzeptieren wir solche Entfernungen ja auch.“