Geisterstunde im Landtag: „Das letzte Parlament“ in Mainz

Szenen eines Endspiels: Klaus Köhler tanzt als Abgeordneter durch das „letzte Parlament“. Foto: Andreas Etter
© Andreas Etter

Für das Staatstheater Mainz hat Björn Bicker ein Stück über die Krise der Demokratie geschrieben. Es wurde jetzt im rheinland-pfälzischen Landtag uraufgeführt.

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MAINZ. Ein Landtag im Museum: Daran hat man sich in Rheinland-Pfalz inzwischen gewöhnt. Seit mehr als zwei Jahren tagt das Parlament des Bundeslands in der Steinhalle des Museums, hinter Zeugnissen aus dem untergegangenen römischen Mainz – während sein angestammter Sitz, das Deutschhaus, saniert wird. So weit, so bekannt. Und so symbolträchtig: Die Ausschreitungen in Chemnitz sind ja nicht der erste Fall, der Sorgen um die Stabilität unseres demokratischen Systems entfacht.

Es ist daher eine schlüssige Idee, dass das Staatstheater Mainz Björn Bicker beauftragt hat, ein Stück zur Krise der Demokratie zu schreiben – das Brit Bartkowiak als Regisseurin jetzt im provisorischen Landtag zur Uraufführung gebracht hat. Großflächige Plastikplanen, die über die Tische und Wände drapiert wurden, etliche Scheinwerfer – mehr braucht es nicht, um den Plenarsaal in einen Bühnenraum zu verwandeln. Der einen als Zuschauer – zumindest wenn man einen der Plätze im Rund ergattert hat, dort, wo sonst die Abgeordneten tagen, von denen einige wie etwa Landtagspräsident Hendrik Hering bei der Premiere anwesend sind – irgendwie auch an die halbrunden Bühnenräume aus der Zeit eines Aischylos oder Sophokles erinnert. Vielleicht nicht von ungefähr: Das antike Griechenland ist nicht nur Wiege der Demokratie und des Theaters – eine ursprüngliche Aufgabe der Tragödie war auch, dass die Polis, das stadtstaatliche Gemeinwesen, sich darin sich selbst repräsentierte, sich seiner selbst vergewisserte.

Gesellschaft repräsentiert sich in all ihrer Ratlosigkeit

Gewissermaßen ist es auch das, was die Zuschauererfahrung von Bickers „Das letzte Parlament (Ghost Story)“ kennzeichnet: Es wirkt, als repräsentiere sich unsere gegenwärtige Gesellschaft darin sich selbst – in all ihrer Ratlosigkeit. Bicker hat für diese Geistergeschichte – sie ist in einer Zukunft nach dem Untergang der Demokratie angesiedelt, der Museums-Landtag ist das einzige Parlament, das überlebt hat, wird von Gespenstern heimgesucht – eigene Recherchen betrieben, Originalzitate aus seinen Interviews mit Politikern aller Fraktionen sind in den Text eingeflossen.

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Um sie herum hat er eine Geschichte erfunden, die nicht immer so pointiert ist, wie sie sein könnte, aber mit starken Momenten aufwartet. Es geht um Abgeordnete, die etwas bewegen wollen – und selbst so sehr unter schwindendem Vertrauen und dem Klein-Klein der parlamentarischen Abläufe leiden, dass sie von einem absurden Ausschuss für Ausschussgeschädigte träumen, in dem ein Ausschuss gegründet werden muss, um den geringen Frauenanteil aufzuklären. Nur um aus dem Albtraum zu erwachen – in einer Ausschusssitzung. Klaus Köhler und Vincent Doddema brillieren in der Rolle dieser glücklosen, teils auch zynischen Volksvertreter – aber auch Neuzugang Elena Berthold überzeugt. Es geht auch um Zwergschulen in der Provinz, die ums Überleben kämpfen – der Kinderchor des Peter-Cornelius-Konservatoriums hat herzige Auftritte als Grundschulklasse, die als junge Generation vielleicht eine neue Hoffnung symbolisiert. Vielleicht.

Denn plötzlich – das ist der Punkt, ab dem die Inszenierung am eindringlichsten wird – entgleist die Diskussion um die Zwergschulen. Die „Rüstigen Rentner Schifferstadt“, die sich im „Widerstand“ wähnen (starkes Zitat: „Unsere Heimat ist der Hass“ – das mit dem Ort erschließt sich aber nicht) hetzen gegen eine gestorbene Lehrerin, von der herauskommt, dass sie Muslimin war. Köhlers Abgeordnetenfigur gibt eine Erklärstunde zu Aufmerksamkeitsökonomie sozialer Medien („Es muss etwas sein, das zerstört, Konstruktives hat keinen Sinn“). Und Kristina Gorjanowa – als blinde Landtags-Stenografin so etwas wie der Teiresias dieser modernen Tragödie – kann nur noch feststellen, dass wir uns in einer Zeit befinden, in der die Bereitschaft zuzuhören täglich schwindet, in der „Sätze wie Messer sind“. Plötzlich sind wir mitten im Kern der Misere. Einen Ausweg aus ihr bietet „Das letzte Parlament“ nicht. Aber als Erfahrung ist diese Inszenierung durchaus kathartisch.

Von Johanna Dupré