WIESBADEN - Wie Wiesbaden sein Staatsorchester liebt, war nach dem ersten Sinfoniekonzert der neuen Saison deutlich zu spüren, als der Solo-Klarinettist Heiner Rekeszus mit langem, herzlichem Applaus in den Ruhestand verabschiedet wurde. Ein weiterer Abschied an diesem Abend war das Gedenken an Siegfried Köhler, 1974 bis 1988 Generalmusikdirektor am Staatstheater, der im September 94-jährig gestorben ist. Köhler prägte seine Ära unter anderem mit dem Einsatz für den Komponisten Volker David Kirchner, der auch das Konzert besuchte.
Konzertreihe nennt sich nun „Wir“
Neben Abschied gab es Neuanfang. Die Konzertreihe des Staatsorchesters nennt sich nun „Wir“. Acht Konzerte sind für die Spielzeit geplant – ein imposantes Programm. Den neuen Generalmusikdirektor Patrick Lange erwartete man zum Start allerdings vergebens. Er wird erst das zweite Konzert im November dirigieren. Dafür stand im Kurhaus Christoph Altstaedt am Pult.
Mit der Sinfonischen Dichtung „Tod und Verklärung“ des jungen Richard Strauss wird das Thema des Programms, das von sehr verschiedenen Todes-Gedanken handelt, angeschlagen. Man hört seine Begabung für den großen Klang, für kühne Orchester-Ideen, kann aber auch eine gewisse Schwülstigkeit nicht überhören. Es scheint, als ob Christoph Altstaedt, der als Dirigent gerade durch die internationale Konzertlandschaft debütiert, und das Orchester ein wenig mit dem Stück und miteinander fremdeln. Eine magische Klangerzählung will sich nicht recht herstellen.
Viel stärker dagegen wirken die drei Lieder aus „Des Knaben Wunderhorn“ von Gustav Mahler. Das liegt zuerst am wunderbaren Bariton Benjamin Appl. Seine schöne, klare Stimme, reine Intonation und feine Artikulation des Texts bringen tatsächlich noch etwas von seinem Lehrer Dietrich Fischer-Dieskau mit. „Wo die schönen Trompeten blasen“ und „Revelge“ reflektieren in einem todtraurigen, manchmal grimmigen Volkston das Dasein der einfachen Soldaten; „Urlicht“ thematisiert das Sterben eines Kindes. Appl interpretiert das sehr anrührend. Orchester und Dirigent finden sich nun zu sorgfältig liebevoller Ausgestaltung der Mahlerschen Details.
Auch in Dmitrij Schostakowitschs letzter Sinfonie, der 15., gibt es Todesahnungen. Der Komponist behandelt sie mit einem gewissen Sarkasmus. Heroismus geht leicht ins Katastrophale, Traurigkeit in völlige Verlorenheit, Freude in ironischen Zirkus. Schostakowitschs Musik spiegelt das Erleben eines Jahrhunderts, das von Diktatur, Gewalt und Krieg geprägt wurde, in so großartig umfassender Weise, dass man seine Bedeutung immer noch wachsen sieht.
Es gelingt eine packende, überzeugende Aufführung von großer Genauigkeit und emotionalem Tiefgang. Wie in einem „Konzert für Orchester“ kommen viele Solisten zur Geltung und werden vom Publikum jubelnd gefeiert. Schostakowitschs tragisch-optimistische Klangrede, der Katastrophe abgerungen, kann auch wieder Zuversicht geben.