Trotz heftiger Kritik: Robert Menasse mit...

Preisträger Robert Menasse mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer vor der Preisverleihung auf dem roten Teppich vorm Mainzer Staatstheater. Foto: hbz / Stefan Sämmer

Bis zuletzt ist die Forderung, Robert Menasse die Carl-Zuckmayer-Medaille wegen des Streits um erfundene Zitate abzuerkennen, nicht verstummt – Freitagabend hat er sie nun im...

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MAINZ. In seinem EU-Roman „Die Hauptstadt“ treibt Robert Menasse ein Schwein durch Brüssel. Immer wieder wird das Tier gesichtet, schließlich glaubt fast jeder, es gesehen zu haben. Die Medien überschlagen sich. Verunglückte Statements entfesseln Stürme der Entrüstung – gleichzeitig steht der Verdacht im Raum, dass das Schwein gar nicht existiert, quasi ein Fake-Schwein ist.

Es ist verführerisch, Vergleiche zur Debatte um die Verleihung der Carl-Zuckmayer-Medaille an Robert Menasse zu ziehen. Aber auch daneben. Ein Fake-Schwein (oder ein angebliches, im Roman existiert es), das durch Brüssel galoppiert, ist eine verschrobene Idee, charakteristisch für den lakonischen Witz und die Fabulierkunst des Schriftstellers Menasse. Die erfundene Auschwitz-Rede und die erfundenen wörtlichen Zitate des ersten Kommissionspräsidenten der EWG, Walter Hallstein, an denen sich die Kritik an dem österreichischen Autor hauptsächlich entzündet hat, sind dagegen kein Witz. Auch wenn er, wie Menasse am Freitag kurz vor der Verleihung nochmals betonte „ohne Fälschungsabsicht“, sondern schludrig gehandelt hat. Weil er die Erfindungen eben nicht nur im Roman verwendete – das wäre noch unproblematisch – sondern auch in Essays und Reden.

Politisch aufgeladene Auseinandersetzung

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Dass sich daran eine gesellschaftliche Debatte entzündet hat, ist nachvollziehbar und notwendig. Über die Art und die Härte, mit der diese in mehrfacher Hinsicht politisch aufgeladene Auseinandersetzung geführt wurde – neben der Europapolitik spielt dabei in Rheinland-Pfalz auch die Landespolitik eine Rolle – kann man dagegen geteilter Meinung sein.

Fakt ist jetzt jedenfalls: Robert Menasse ist seit Freitagabend Träger der Carl-Zuckmayer-Medaille, der höchsten kulturellen Auszeichnung des Landes Rheinland-Pfalz. Bis zuletzt waren die Rufe danach, ihm den Preis abzuerkennen, nicht verstummt. Noch kurz vor der Verleihung forderte dies etwa CDU-Landtagsfraktionschef Christian Baldauf erneut, nannte die Auszeichnung einen „schweren Fehler“ und warf Menasse „Geschichtsklitterung“ vor.

Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) ist jedoch bei ihrer Entscheidung geblieben, die sie auf dem vorläufigen Höhepunkt der Debatte nach „intensivem Austausch“ mit der Vergabe-Kommission gefasst hat: Menasse den Preis wie geplant zu überreichen. In Ihrer Ansprache im Staatstheater Mainz würdigte sie ihn als „großen Erzähler der Gegenwart“, der in rund dreißig Büchern „mit Scharfsinn und Witz die Zustände und Abgründe menschlicher Verhältnisse und Seelen“ durchleuchtet habe – poetisch verknappt, ironisch, aber nie zynisch. Dreyer äußerte sich bei der Feierstunde aber auch zum Zitatstreit.

Dreyer bezeichnet Kritik an Menasse als berechtigt

Es sei für das Gelingen einer demokratischen Debatte unerlässlich, „Gewissheiten von Annahmen und Fakten von Meinungen zu trennen“, so Dreyer. Menasse habe aber unmissverständlich eingeräumt, dass es ein Fehler war, „nicht zwischen der künstlerischen Freiheit im Roman und den Spielregeln des politischen Diskurses unterschieden zu haben“. Die Kritik daran sei berechtigt. Aber wenn jemand bereit sei, einen Fehler einzusehen und einzugestehen,„bin ich bereit, das anzuerkennen“, so Dreyer, die auch die Hoffnung äußerte, dass nach diesem Abend der Blick wieder frei werde für das, was Menasse an gesellschaftspolitischen Anregungen zu bieten habe: dass die gegenwärtigen Entwicklungen „kein unabänderliches Schicksal” seien.

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Ähnlich äußerte sich auch der Essayist und Kritiker Karl-Markus Gauß – allerdings nicht persönlich, da durch eine Grippeerkrankung kurzfristig verhindert. Vincent Doddema aus dem Schauspielensemble des Staatstheaters sprang ein und verlas die Laudatio, in der Gauß seiner Ratlosigkeit über die rasante Zuspitzung der Debatte Ausdruck verlieh und nach der erfolgten Entschuldigung für eine verbale Abrüstung plädierte. Obwohl er – seit 30 Jahren mit Menasse befreundet – nicht alle seiner europapolitischen Thesen in Bezug auf die Frage der Nation teile, sehe er den Autor als „großen europäischen Erzähler” und glasklaren Analysten dessen „wieso der europaweit aufbrausende Vormarsch der Nationalisten ein aberwitziges Unterfangen ist”. Die Europäische Union sei „die Chance, die zu verschludern die unentschuldbare Schuld unserer Generation sein wird.”

„...ganz normal, dass der Rechtsaußen zum Mittelstürmer wird”

Menasse selbst wiederum setzte sich in seiner Dankesrede auf mehrfach gebrochene, aber doch selbstkritische Art mit den Entwicklungen der vergangenen Wochen auseinander. Da die Zuckmayer-Medaille ja für „Verdienste um die deutsche Sprache” verliehen werde, habe er zunächst vorgehabt, sich genau mit diesem Thema zu beschäftigen: Der deutschen Sprache und ihren Veränderungen – sowohl den unbewussten Verschiebungen, als auch jenen, die aus politisch-ideologischer Absicht bewusst vorangetrieben würden. Es seien „Meta-Verschiebungen”, die man kaum merke: „Plötzlich findet man es ganz normal, dass der Rechtsaußen zum Mittelstürmer wird.”

Als europapolitische Beispiele führte er an, wie unter der Vokabel „proeuropäisch” eine Finanzpolitik betrieben werde, die tatsächlich antieuropäisch sei – oder das Verkommen des Begriffs „Friedensprojekt Europa” zur Phrase. Er habe diese – im Endeffekt ja in Kurzform doch gehaltene – Rede aber nicht schreiben können, sagte er schließlich: „Ich kann nicht so tun, als ob zwischen der Zuerkennung des Preises und dem heutigen Tag nichts passiert wäre.”

Mit Rückgriff auf den Namensgeber der Auszeichnung imaginierte er, dass Carl Zuckmayer im Stil seiner später als „Geheimreport” veröffentlichten, 1943/44 für den amerikanischen Geheimdienst erstellten Dossiers über Künstler und ihr Verhalten während der NS-Zeit auch eine Akte über ihn, Menasse, und die aktuelle Situation erstellt habe: Zuckmayer sähe ihn darin wohl als „Luftikus” der wegen „unkorrekten Zitierens schwer in der Kritik” stehe, und dabei teils selbst mit verzerrenden Zitaten angegriffen werde. Gleichzeitig müsse dieser Luftikus „sich aber auch an der eigenen Nase fassen. Er dreht niemandem das Wort im Mund um, aber wenn er zitiert, dann muss er doch wörtlich zitieren.”

Am Ende eine Tiermetapher

Menasse endete mit einer Tiermetapher: Kein Schwein, sondern ein Spatz liegt darin auf dem Rücken und stemmt seine Beine in die Höhe. Er wolle dadurch verhindern, dass der Himmel auf die Erde fällt, erklärt er einem vorbeikommenden Kater. Ob er denn glaube, dass das hilft? „Nein, aber ich tue, was ich kann”, sagt der Spatz. „Sie dürfen jetzt entscheiden, was passiert, ob der Kater den Spatz frisst, oder ob er sich schnell wieder aufrappelt und weiterfliegt”, so Menasse.

Von Johanna Dupré