Marie-Janine Calic wird dem Partisanen, Diktator und Friedenspolitiker Tito gerecht. Dessen Weg zum international geachteten Staatsmann war von einer Blutspur gekennzeichnet.
HEIDELBERG. Vom Ende her betrachtet nimmt sich die Lebensleistung von Josip Broz, der sich den Kämpfernamen Tito gab, eher ungünstig aus. Gerade einmal elf Jahre vergingen nach dem Tod des Dauer-Diktators 1980, bis der Vielvölkerstaat Jugoslawien in seine Einzelteile zerfiel in einem Bürgerkrieg, der 100 000 Todesopfer forderte. Aber vor dem Zerfall muss ja ein erstaunlicher Aufbau im Armenhaus Europas gewesen sein. Dass dieser im Wesentlichen das Werk eines Bauernsohns und Maschinenschlossers aus der kroatischen Provinz gewesen ist, daran lässt Titos Biografin Marie-Janine Calic keinen Zweifel.
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Zuweilen lässt sich die Münchner Professorin vom romanhaften Leben des Helden – und der Ausdruck passt in diesem Fall wirklich – zu romanhaften Schilderungen von Ereignissen hinreißen, Gedanken und Gesichtsregungen eingeschlossen. Doch das bleibt stets diesseits der Klitterung und trägt dazu bei, dass sich diese Reportage aus ausgesprochen schwierigen Zeiten ganz leicht lesen lässt.
„Zum Guten wie zum Bösen fähig“ lautet Calics salomonische Formel, die bei Tito zeitlebens aufgeht. Vom kommunistischen Untergrund-Wühler über den Partisanen-Haudegen zum stalinistischen Herrscher und schließlich zum post-stalinistischen Staatsmann mit Freunden und Bewunderern in Ost wie West reichte dieses Leben.
Zum Mensch mit Übermaß wurde Tito im Kampf mit zwei Menschheitsverbrechern: Adolf Hitlers Wehrmacht zwang er ohne Hilfe aus Moskau in die Knie, was ihm die (eher aus Versehen losgetretene) Ablösung von Josef Stalins Sowjetunion nach dem Zweiten Weltkrieg leichter machte. Auf Normalmaß brachte ihn der Versuch, Jugoslawien als zunehmend „weicher Autokrat“ (Calic) zum kommunistischen Solitär zwischen den Blöcken zu machen. Rasch entwickelte sich die „Arbeiterselbstverwaltung“ zum bürokratischen Selbstbedienungsladen, der noch heute in den Nachfolgestaaten in geänderten Rechtsformen geöffnet hat. Die von wirtschaftlicher Ungleichheit befeuerten Fliehkräfte der Nationen waren nur vorübergehend mit Titos Charisma und Titos Knute zusammenzuhalten.
Apropos Knute: Hässlicher als die Flecken, die der nicht in allen Einzelheiten saubere Kampf der Partisanen hinterlassen hatte, waren diejenigen, die nach dem Krieg hinzukamen: Auf Titos Geheiß wurden etliche politische Gegner in Lager gesperrt oder im Ausland ermordet. Auch das gehörte zu diesem Regime mit Reisefreiheit.
Apropos Charisma: Der von Calic respektvoll geschilderte „gebildete Autodidakt“ war in seinem Pragmatismus und in seiner Schnörkellosigkeit nach Einschätzung seines Dolmetschers „der beste schlechte Redner auf der Welt“. Dem Vormann der „Blockfreien“ hörten nicht nur seine Landsleute über Jahrzehnte zu, sondern auch die Mächtigen der Welt. Titos Verständnis für die sogenannte Dritte Welt, sein ehrliches Bemühen, den Weltfrieden bei aller ideologischen Gegnerschaft in Koexistenz zu erhalten – kurzum: Das internationale Format eines von Nationalismen gebeutelten Staatschefs sorgte dafür, dass Titos Name als einziger eines kommunistischen Herrschers noch heute einen eher guten Klang hat.
Marie-Janine Calics bevorzugt auf Selbstauskünfte der Protagonisten gestützte Broz-Biografie ist facettenreich, ehrlich und voller Überraschungen. Sieben Jahre führte dieses Leben, das für drei Leben gereicht hätte, Tito ins Gefängnis. Mit Deutschland verband den zunehmend königlich auftretenden Proletarier nicht nur Krieg und späte Aussöhnung mit Willy Brandt und Helmut Schmidt. Als Lehrling hatte er mehrere Monate bei Benz in Mannheim gearbeitet, sein kommunistischer Deckname lautete Friedrich Walter, und liiert war er unter anderem mit der Deutschen Lucie Bauer, die von Stalins Schergen umgebracht wurde.
Dass nach Titos Tod die Nachfolger der von ihm kleingehaltenen Chauvinistentruppen Ustascha und Tschetniks erneut mordeten, kann dem bis zum Ende überzeugten Kommunisten nicht persönlich angelastet werden. Es ist im Wortsinn eine Tragödie, dass diese große Geschichte von Tapferkeit und Mordbrennerei, von Einheit und Verfall böse endete.
Von Christian Knatz