Hannah Ahlheim, Professorin für Zeitgeschichte an der Justus-Liebig-Universität Gießen, gelingt eine anregende Studie über die Geschichte der Schlafforschung.
Von Holger Schlodder
Wer sich als Arbeitstier optimiert, sorgt mit dem Schlaftracker für die perfekte Performance im Bett.
(Foto: Karolin Krämer/dpa-tmn)
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Der Schlaf gilt als der privateste Zustand des Menschen, ein "Hineinkriechen des Menschen in sich selbst" nannte ihn Friedrich Hebbel. In diesem Sinn bettet der gewöhnliche Schläfer sich dann auch zur Nachtruhe: darauf vertrauend, für die kommenden Stunden ganz bei sich zu sein. Aber das ist eine Illusion. Denn die Menschen träumen nicht nur im Schlaf, sie träumen auch vom Schlaf und haben ihn im Lauf der Menschheitsgeschichte mit Mythen, Deutungen und wissenschaftlichen Theorien umgeben, in den sich auch handfeste politische und ökonomische Interessen einklinken können. Nein, man ist beileibe kein Alleinherrscher in seinem Schlafgemach, man wird beobachtet, kontrolliert, manipuliert. Die Göttinger Historikerin Hannah Ahlheim legt jetzt eine detailreiche Geschichte der jüngeren Schlafforschung vor. Die liest sich, obwohl es sich um eine Habilitationsschrift handelt, alles andere als einschläfernd, sondern sehr anregend.
Blick unter die Bettdecken der Schlummernden
Spätestens um die Mitte des 19. Jahrhunderts war abzusehen, dass eine auf wissenschaftliches Verstehen, Rationalität und Effizienz verpflichtete Gesellschaft den dunklen Kontinent des Schlafs als unproduktive Auszeit nicht länger sich selbst überlassen konnte. Seitdem schauen Physiologen und Psychologen, Mediziner und Ökonomen unter die Bettdecken und in die Köpfe der Schlummernden, sie messen und werten, kontrollieren und optimieren. Apparative Errungenschaften wie das EEG machen es möglich; ein Meilenstein der Schlafforschung ist dann 1953 die Entdeckung des REM-Schlafs und seiner gesundheitlichen Bedeutung.
Wie jede Wissenschaft ist auch die Schlafforschung in ihren Folgen für die Probanden ambivalent. Sie kann einerseits mit ihren Erkenntnissen Schlafstörungen verstehen und Wege zu einem gesunden Schlaf weisen. Andererseits werden ihre Ergebnisse von Anfang an auch von fremden Interessen instrumentalisiert. Die Fabrikbesitzer haben großes Interesse daran, dass die Arbeiter ausgeschlafen und leistungsfähig zur Schicht antreten; Militärs können keine müden Krieger gebrauchen, sondern effiziente Kämpfer, die auch nach Phasen des Schlafmangels noch funktionieren. Kontrolle und Manipulation des soldatischen Schlafes stellen einen Schwerpunkt der Untersuchung dar, denn deren Ergebnisse haben auch Auswirkungen auf den Zivilisten. Je feinmaschiger der Schlaf erforscht und überwacht werden kann, umso intensiver wird Schlafqualität zum Dauerthema - und zur Aufgabe des Einzelnen: Wer schlecht schläft, ist selber schuld. Mit der Aussicht auf guten Schlaf machen gleichermaßen Pharmaindustrie, Bettenhersteller und Ratgeberverlage ihre Geschäfte.
DIE AUTORIN
Hannah Ahlheim, Jahrgang 1978, ist Professorin für Zeitgeschichte am Historischen Institut der Justus-Liebig-Universität in Gießen. Sie publizierte unter anderem über Antisemitismus und politischen Boykott in Deutschland.
Ihr aktuelles, hier vorgestelltes Buch über die Entwicklung des Schlafwissens in Deutschland und den USA seit dem späten 19. Jahrhundert verbindet die Geschichte einer Wissenschaft mit der Geschichte der modernen Gesellschaft. (job)
Bei dieser fürsorglichen Belagerung der Liegestatt bedarf es schon einer gehörigen Portion Vertrauen in das eigene Körpergefühl, um sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Es ist ein deutlicher Vorzug von Ahlheims Buch, dass es auch dem lebensweltlichen Erfahrungswissen über den Schlaf und alltagskulturellen Deutungen zur Geltung verhilft. Vielleicht kann solches Wissen die fortschreitende Entmündigung des individuellen Schläfers ein wenig aufhalten. Die hat ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht in der sanften Kontroll-Diktatur durch die seit einigen Jahren angebotenen Schlaftracker oder entsprechende Apps für das Smartphone - beides Weiterentwicklungen militärischer Schlafkontrolle von US-Soldaten im ersten Golfkrieg.
Jetzt kann also das optimierungswillige Arbeitstier sich sein privates Schlaflabor einrichten und von seinem digitalen Wächter unterm Kopfkissen kontrollieren lassen, ob er auch im Bett noch eine ordnungsgemäße Performance hinlegt. Wenn die Bereitschaft zur Überwachung des Allerprivatesten so weitergeht - dann gute Nacht!