„Marsch Manipulation“ von Anselm Dalferth hat Premiere im Staatstheater Mainz
Von Dietrich Stern
Sängerin Maren Schwier und Schauspieler Sebastian Brandes überlagern Volkslieder und Märsche mit einer Textcollage. Foto: Staatstheater
( Foto: Staatstheater)
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MAINZ - Auf der Terrasse des Staatstheaters stellt sich ein starkes Gefühl der Stadt als Ansammlung von Geschichte ein, genauso wie sie öffentlicher Verhandlungsort des sozialen und politischen Lebens heute ist. Und das Theater liegt mitten drin und kann Stellung nehmen. Opern-Dramaturg Anselm Dalferth bezieht in seiner Reihe „Hörtheater“ die ungewohnte Örtlichkeit mit ein. „Marsch Manipulation“ handelt vordergründig von Marschmusik, mündet dann aber in einem beklemmenden Text des Briten Tim Etchells, der gnadenlos das Scheitern jeglicher vernünftiger Politik darstellt.
Die Sängerin Maren Schwier und der Schauspieler Sebastian Brandes überlagern Volkslieder und Märsche mit einer Textcollage von Wikipedia über Bundeswehr-Dienstordnung bis zu Youtube-Kommentaren. Wenn das „arme welsche Teufli“ müde vom Marschieren ist, die „Beiden Grenadiere“ Robert Schumanns geschlagen aus Russland zurückkehren, oder die „Moorsoldaten“ als Gefangene zur Zwangsarbeit ins Moor ziehen, dann wird deutlich, dass Marschieren selten glimpflich ausgeht, sondern meistens tödlich endet. Texte, die das Marschieren als notwendig glorifizieren wollen, bekommen so einen bösen Hintersinn.
Zusätzlich werden sie durch Sound-Design (Christopher Dahm) verfremdet und mit konträrer Bedeutung aufgeladen. Ohne sich körperlich und stimmlich zu schonen, arbeiten Schwier und Brandes die groteske Doppelbödigkeit des Themas heraus. „Zehn Märsche, um den Sieg zu verfehlen“ des Avantgarde-Komponisten Mauricio Kagel sind dann fast eine Erlösung. Bläser und Schlagzeuger des Philharmonischen Staatsorchesters treten in Kostümen (Ausstattung: Jenny Mosen) auf, die wiederum an die Zeit Napoleons erinnern. Die Musik verhindert durch Rhythmus-Verschiebungen jedes ordentliche Marschgefühl.
Performance wird zur politischen Kundgebung
Unter Leitung von Mike Millard spielen die Musiker tatsächlich einen traurigen Rückzug, und die Musik Kagels bekommt melancholische, fast sehnsüchtig trauernde Züge. Der Text von Tim Etchells von der englischen Truppe „Forced Entertainment“ führt dagegen in die aktuelle Gegenwart. Nun wird die Performance zur politischen Kundgebung, und Sebastian Brandes zu einem aalglatten Redner: „Morgen … müssen wir miteinander und gegeneinander arbeiten, damit sich unser Land im Kreis drehen kann.
Das ist der Augenblick für kleinliche und destruktive Kritik, für Anfeindungen und Schuldzuweisungen! Und wenn wir gescheitert sind, der Fehler liegt bei Euch, nicht bei mir.“ Der Text scheint unmittelbares Echo der Brexit-Politik Farages und Johnsons, neben Trump mit die größten Zyniker in der westlichen Politik. Brandes schreit seine Botschaft über den Gutenberg-Platz und bekommt Antwort von unten. Das kleine Insider-Publikum auf der Terrasse schmunzelt verständnisvoll. Vielleicht sollte man solche beunruhigenden Texte wirklich auf die Plätze tragen.