Wissenschaftler untersuchen Rolle der Zeugen im Frankfurter Auschwitz-Prozess
Kopien der Mitschnitte des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses sind seit 2013 im Internet verfügbar – ein Symposium gab nun Einblick in die Forschung, die so möglich wird.
Von Johanna Dupré
Redaktionsleiterin Kultur Mainz
Eines der Tonbänder mit Aufnahmen des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses, die im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden lagern.
(Foto: dpa)
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FRANKFURT - Der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-65) war ein Wendepunkt. Ein Mammut-Verfahren, das in Zeiten kollektiver Verdrängung den Finger in die Wunde legte. Durch ihn, so Hessens Kunstminister Boris Rhein am Mittwoch, „wurde Auschwitz zur Chiffre des Holocausts“. Doch was bedeutete es für die überlebenden Opfer der Vernichtungsmaschinerie, vor einem deutschen Gericht auszusagen? Welche Vorstellungen von Zeugenschaft prallten aufeinander? Wo behinderte das Beharren auf formaljuristischen Kriterien – bewusst oder unbewusst – die Aufarbeitung?
Mit diesen Fragen beschäftigte sich das Symposium „Zeugenschaft im Auschwitz-Prozess“, zu dem das Fritz Bauer Institut mit dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst eingeladen hatte. Es gab einen Einblick in Forschung, die die Aufbereitung der Mitschnitte des Prozesses durch das Fritz Bauer Institut ermöglicht hat: Seit 2013 können digitale Kopien der 103 Tonbänder, die im Hessischen Hauptstaatsarchiv in Wiesbaden lagern, über eine Website angehört werden. Dass die Mitschnitte, die 2017 gemeinsam mit den Prozessakten zum Unesco-Weltdokumentenerbe erklärt wurden, überhaupt existieren, ist dabei glücklichen Umständen und dem Engagement ehemaliger Häftlinge zu verdanken. Ursprünglich hätten sie nach Prozessende gelöscht werden sollen, wie Johannes Klaas Beermann (Fritz Bauer Institut) in seinem Vortrag erklärte. Sie waren nicht für die Nachwelt, sondern nur für die Richter und Geschworenen gedacht.
Die Mitschnitte wurden aufgehoben – und vergessen
Es war der Historiker Hermann Langbein, Gründungsmitglied der Opfervereinigung Internationales Auschwitz Komitee und selbst Prozess-Zeuge, der den Vorsitzenden Richter Hans Hofmeyer und den damaligen hessischen Justizminister Lauritz Lauritzen anschrieb und bat, die Bänder wegen ihres „außerordentlichen historischen Werts“ nicht zu löschen. Was letztlich dazu führte, dass die Staatsanwaltschaft sie aufbewahrte – und vergaß. Erst im Zuge eines anderen Prozesses in den 80ern wurden sie wiederentdeckt, schließlich archiviert und aufbereitet.
Historiker waren auch die Prozesszeugen Erich und Otto Duv Kulka, denen eine besondere Rolle zukommt, wie Katharina Stengel vom Leibniz-Institut für jüdische Geschichte und Kultur ausführte. Erich Kulka, der durch seine Zuweisung zum Schlossereikommando eine gewisse Bewegungsfreiheit hatte, machte im Lager heimlich Aufzeichnungen und sammelte Berichte ander Häftlinge und Dokumente. Durch sie konnten später Täter überführt werden, und sie wurden Grundlage des Buches „Die Todesfabrik“, der ersten systematischen Veröffentlichung über Auschwitz.
Genau wie auch sein Sohn Otto verstand Erich Dov Kulka, so Stengl, Zeugenschaft als kollektiven, politischen Akt. Immer wieder sprechen beide in ihren Aussagen von „wir“ und „uns“, vertreten das Kollektiv der Opfer. Was im Widerspruch zum Beharren des Gerichtes auf direkter, subjektiver Augenzeugenschaft stand. Jenes Beharren, das formaljuristisch durchaus korrekt war, behinderte die Aufarbeitung des Systems Auschwitz und seiner Vernichtungsmaschinerie, schloss es doch die Möglichkeit eines umfassenden Überblicks über das Lagergeschehen aus. Nicht von ungefähr waren es so vor allem die Verteidiger, die die Aussagen der Kulkas von dieser Warte aus angreifen wollten.
Mit der Rolle der Dolmetscher im Frankfurter Auschwitz-Prozess beschäftigt sich Peter Davies von der University of Edinburgh. Unter anderem ging er auf den slowakischen Überlebenden Filip Müller ein, der als Teil des jüdischen Sonderkommandos in den Krematorien von Auschwitz arbeiten musste. Zu Beginn seiner Aussage unterbricht er das Gericht und äußert den Wunsch, auf Deutsch auszusagen, vom Übersetzer nur unterstützt zu werden. Darin äußert sich, so Davies, ein ethisches Verständnis von Zeugenschaft: Es ging darum, die deutsche Öffentlichkeit als Zeuge mit eigener Stimme anzusprechen – in ihrer eigenen Sprache.