Die zwölfteilige Mammut-Dokumentation „Äquator – Die Linie des Lebens“, die am 22. September auf Arte ausgestrahlt wird, spürt dem Spannungsfeld zwischen Mythos und Realität nach. Mittendrin: der Mainzer Meteorologe Stefan Wolff.
Von Johanna Dupré
Redaktionsleiterin Kultur Mainz
Stefan Wolff auf dem ATTO (Amazonian Tall Tower Observatory). Mit 325 Metern ragt der Turm hoch über den Regenwald hinaus. Das in Mainz ansässige Max-Planck-Institut für Chemie ist an dem Klima-Forschungsprojekt maßgeblich beteiligt.
(Foto: Arte/Spiegel TV)
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MAINZ/MANAUS - Unberührte Landschaften, von deren Vielfalt der Mensch gut und im Einklang mit der Natur leben kann – dieser europäische Traum vom tropischen Paradies beflügelt noch immer die Fantasie stressgeplagter Städter. Auch wenn die Realität in der Region rund um den Äquator, zwischen Mega-Städten wie Singapur und Nairobi und vom Untergang bedrohten Südseeinseln, natürlich eine andere ist. Diesem Spannungsfeld zwischen Mythos und Realität spürt jetzt die zwölfteilige Mammut-Dokumentation „Äquator – Die Linie des Lebens“ nach, die am 22. September auf Arte ausgestrahlt wird. Mittendrin: der Mainzer Meteorologe Stefan Wolff.
Er kommt in Folge zehn der deutsch-kanadischen Großproduktion zu Wort und dürfte wohl wie kaum jemand sonst einen Überblick über Schönheit und Bedrohung des Amazonas-Regenwalds haben: Wolff erforscht ihn aus 325 Metern Höhe, im Rahmen des ATTO-Forschungsprojekts, an dem das Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie maßgeblich beteiligt ist. Immer wieder pendelt der 38-Jährige dafür zwischen Brasilien und Deutschland; lebt und arbeitet mal in Manaus, mal in Mainz, mal mitten im tiefsten Regenwald, aus dem das 2015 fertiggestellte, an den Eiffelturm erinnernde Observatorium hervorragt – als derzeit höchste Erhebung in ganz Südamerika. Etwas Schwindelfreiheit ist somit schon gefragt: 1500 Stufen muss Wolff emporsteigen, um an die Spitze des Turms zu gelangen – ein Erlebnis, das für den Forscher noch nichts von seinem Zauber verloren hat: „Dieses Waldsystem ist ein Wunder, und der Blick, den man von dort oben darauf hat, ist ein Geschenk“, sagt er.
Ziel des deutsch-brasilianischen Forschungsprojekts, das die Max-Planck-Gesellschaft gemeinsam mit dem Nationalen Institut für Amazonasforschung (INPA) und der Universität des Staates Amazonas (UEA) durchführt, ist es, mehr über die Bedeutung großer Regenwälder für Klima und Atmosphäre zu erfahren. Sehr bewusst wurde dafür ein Ort gewählt, an dem der Einfluss des Menschen kaum zu spüren ist – insofern das heute noch geht: „Eine erhöhte Co2-Konzentration gibt es inwischen auf der ganzen Welt, egal ob an Nordpol, Südpol oder in den Tropen“, sagt Wolff. „Es gibt aber ja noch andere Verschmutzungen, Stickoxide, Ozone, oder Aerosole, also Schwebteilchen, und die sind um so weniger vorhanden, je weiter man von Städten entfernt ist.“ Weit ab von jeder Großstadt gelegen ermöglicht es das ATTO daher nun, den Austausch zwischen Wald und Atmosphäre in nahezu ursprünglicher Form zu beobachten. Und dabei durch die große Höhe gleich mehrere 1000 Quadratkilometer Wald auf einmal in den Blick zu nehmen, also wirklich ein Verständnis für den Regenwald als System zu gewinnen und bisherige Annahmen präzisieren zu können. Etwa indem die Forscher über lange Zeiträume beobachten, wie sich die Bäume verhalten, wenn es mal mehr, mal weniger regnet, oder sich ein Gewitter entlädt.
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Die Arte-Poduktion „Äquator“ hat zwölf Folgen – alle werden am 22. September zwischen 8.35 und 19.10 Uhr hintereinander ausgestrahlt. Stefan Wolff ist in Folge zehn zu sehen.
Zusätzlich zur Doku gibt es auch eine vierteilige Virtual-Reality-Serie, die über die Arte 360-App abgerufen werden kann.
Was idyllisch klingt, hat jedoch einen ernsten Hintergrund: Es geht durchaus auch um die Frage nach dem „tipping point“, also dem Punkt, an dem das Ganze kippt: „Wenn wir dieses originäre Waldsystem besser verstehen, können wir noch genauere Ableitungen dazu machen, was passiert, wenn es nicht nur drei, vier Grad wärmer wird, sondern sich auch Niederschlagsverhältnisse und Windsysteme ändern, oder stärkere Extremereignisse eintreten“, erklärt Wolff. Kurz: Es geht auch um die Widerstandsfähigkeit des Walds, nicht zuletzt vor dem Hintergrund von Klimawandel und fortschreitender Abholzung.
Wald versorgt auch große Ballungsräume mit Wasser
Wieso letztere für das System Regenwald so problematisch ist, verdeutlicht ein Phänomen, das die Kameras in der Arte-Doku eindrucksvoll einfangen: Das Prinzip der „fliegenden Flüsse“ – eine, wie Wolff sagt, „sehr lyrische Beschreibung für Prozesse, bei denen in den Wald gefallener Regen wieder aus diesem verdunstet und in Form von Wolken weitertransportiert wird“. Ein Großteil des weiter westlich, vom Atlantik weg gelegenen Regenwalds wird so mit Wasser versorgt, sowie, über den Umweg durch die Anden, letztlich auch die bevölkerungsreichen Großräume von São Paulo und Buenos Aires. Potenziell ist somit die Wasserversorgung eines weitaus größeren Gebiets gefährdet, wenn das noch relativ ursprüngliche Waldsystem in der Gegend des ATTO einmal kollabieren sollte.
Umso beunruhigender ist, was die Forscher in den letzten Jahren bereits feststellen mussten: Dass in der Trockenzeit zwischen August und Oktober, in der im Amazonas weniger Regen fällt, die Atmosphäre selbst über dem ATTO so stark durch die auch infolge von Abholzungen häufiger werdenden Waldbrände belastet ist, dass in dieser Zeit schlicht keine Messungen vorgenommen werden können. Es wäre also höchste Zeit, sich vom Traum des unberührten Tropenparadieses zu verabschieden – und der Realität seiner Bedrohung ins Auge zu sehen.