DARMSTADT - Nein, eitel ist Cecil Taylor nicht. Jedenfalls nicht im landläufigen Sinn. Der deutsche Fotograf Arne Reimer fragte den Star-Pianisten, wie er sich selbst am liebsten porträtiert sehen wolle. Taylor lümmelte sich auf den Rand eines ungemachten Bettes, in einer Hand die Kaffeetasse, in der anderen die Zigarette, oben ein kleiner Hut, unten übereinandergeschlagene Beine in gelben Kniestrümpfen mit deutlichen Gebrauchsspuren. Eine konsequente Nachlässigkeit, die schon wieder inszeniert wirkt: So hängt Taylor jetzt im Darmstädter Literaturhaus.
Das Jazz-Institut feiert Ende September hundert Jahre dieser musikalischen Kunstform mit dem Darmstädter Jazzforum. Die passende Ausstellung macht jetzt schon neugierig darauf, und sie lenkt den Blick auf die Geschichte des Jazz, die keine Autobahn klar aufeinander abfolgender Stile ist, keine lückenlose Liste der großen Stars, die sich die Entwicklung auf die Fahnen schreiben könnten. Sondern eine lebendige Kunst, die sich ihren Weg immer neu gesucht hat.
Reisen in die USA zu den Helden
Arne Reimer, der in Leipzig Fotografie studiert hat und zwei Jahre als Fulbright-Stipendiat in Boston lebte, unternahm lange Reisen durch die USA, um seine "Jazz Heroes" aufzuspüren, alle jenseits der Siebzig und damit Teil der Jazz-Geschichte, um die es in Darmstadt geht. Er besuchte nicht nur die Stars, sondern auch jene Musiker, die heute kaum einer kennt. Auch sie haben an der Entwicklung mitgeschrieben, in bedeutenden Formationen mitgespielt, waren Teil der Szene. Für die meisten war es selbstverständlich, dass sie die Existenzform Jazz bis an ihr Lebensende pflegen würden. Manchmal wollten sie lieber keinen Termin mit dem Fotografen ausmachen. Es könnte ja noch ein Engagement dazwischenkommen.
WANN UND WO
Arne Reimer: "My Encounters with American Jazz Heroes". Bis 5. Oktober im Veranstaltungssaal des Literaturhauses am Darmstädter Kennedyplatz, geöffnet Dienstag 11 bis 13, Donnerstag 16 bis 18 Uhr und während der Veranstaltungen.
Am 28. September um 14.30 Uhr hält der Fotograf einen Vortrag. (job)
Reimer hat sich ihnen mit Respekt genähert, er hat sich ihre Geschichten erzählen lassen, hat ganze Tage mit den Menschen verbracht, ihre Wünsche für die Porträts erkundet. Reimer ist ihnen nicht mit dem Teleobjektiv zu Leibe gerückt, er wollte auch in der Optik auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber sein. Er nennt es leise Fotografie, Aufnahmen von großer Intimität sind es, auf denen man, je länger man sie betrachtet, die Lebensgeschichten lesen kann. "Es ist, als könne man die Geschichte des Jazz in den Gesichtern lesen", sagt Doris Schröder vom Jazz-Institut. Sie hat die Bilder nach den Wünschen des Fotografen geschickt gruppiert, eine lockere Folge unterschiedlicher Formate, die Beziehungen zwischen den Bildern nicht als zufällig erscheinen lässt.
Zwei Bücher sind auf Reimers Reisen entstanden, für die er mit dem Echo-Jazz-Sonderpreis ausgezeichnet wurde. Für die Besucher der Ausstellung hält das Jazz-Institut einen kleinen Wegweiser bereit, der zeigt, auf welcher Seite der ausgelegten Bücher die passende Geschichte zum Bild zu lesen ist. Aber man kann auch seinen Augen trauen und staunen. Über Henry Grimes, der skeptisch von seinem grünlackierten Bass wegschaut, über Amina Claudine Myers, die breit auf der Bank ihrer elektronischen Orgel posiert, als solle schon die Haltung etwas von der Musik erzählen, über den Schlagzeuger Charli Persip, der spärlich bekleidet in seiner Wohnung thront. Jede Pose ist ein Statement, ob Bob Dorough in der Hängematte schmunzelt, die Sängerin Carla Bley ein scheues Lächeln aufsetzt oder Eddie Henderson auf einem roten Sportwagen sitzt. Die meisten Musiker haben ihr Instrument mit aufs Foto genommen, wie einen Lebensgefährten. Aber die Musik kommt auf diesen Fotos direkt von den Menschen.