Fotobände von 1971 bis 2017: Rund 1000 Bilder von 31 Künstlern sind in Frankfurt zu sehen. Foto: Axel Schneider
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FRANKFURT - Ein fünfjähriger Junge verschwindet spurlos in Saarbrücken. In Verdacht geraten die Wirtin einer etwas heruntergekommenen Kneipe und einige Stammgäste. Es geht um Missbrauch, der Fall schlägt hohe Wellen. Aber ein Urteil kommt nicht zustande, der Junge bleibt seit 2001 unauffindbar. Doch der Künstler Thomas Demand hat die Kneipe fotografiert, in lebensgroßen Modellen nachgebaut und wieder geknipst – so entstanden Bilder von Bildern von Bildern, die wir alle kennen. Jetzt steht der Besucher des Frankfurter MMK 2, dem Ableger des Museums für Moderne Kunst mitten im Bankenzentrum, gleich eingangs vor den fünf Fotos von Demand – ein guter Auftakt für die Frage, wie wir Bilder heute wahrnehmen.
Denn täglich sehen wir Hunderte von Fotos, so MMK-Kurator Mario Kramer: Zuerst bei der Lektüre der Zeitung, dann auf dem Weg zur Arbeit auf dem Smartphone, vielleicht auch bei der Arbeit am PC und am Abend schließlich vor dem Fernseher. Doch mit der Bilderflut hat sich auch unsere Einstellung gewandelt, meint Susanne Pfeffer, die neue MMK-Direktorin. Während das Fotografieren populärer wurde, sind wir kritischer geworden und hinterfragen stärker die Bilder, die Medien und die Wahrnehmung. Demands Bilder erzählen also von der Suche nach Wirklichkeit, ihrer medialen Vermittlung und der Manipulierbarkeit von Fotos.
1000 Werke von 31 Künstlern
Die Ausstellung mit dem Titel „Image Profile“ konzentriert sich auf die Fotografie, die im MMK immerhin 2500 Werke umfasst, etwa die Hälfte der Sammlung. Mit rund 1000 Fotos von 31 Künstlern ist jetzt ein großer Teil davon zu sehen, vor allem Reportageaufnahmen, daneben viele inszenierte Bilder oder subjektive Fotos. Damit wirft die Schau schon ihre Schatten voraus auf die „RAY“-Fototriennale, die ab 24. Mai in vielen Museen des Rhein-Main-Gebietes läuft.
In der MMK-Sammlung stehen erstaunlich oft Kinder und Jugendliche im Zentrum, auch bei der Kriegsfotografin Anja Niedringhaus, die viel im Irak und in Afghanistan unterwegs war. Sie entdeckte 2009 einen Jungen auf dem Karussell, der aber nicht das Fliegen durch die Luft zu genießen scheint. Er ist schon zu alt dafür, hat eine Spielzeugpistole in der Hand – der Krieg ist alltäglich, die Kinder werden schnell zu Erwachsenen, bekommen den Hass auf den Feind als Grundnahrung mit.
Aber erging es der amerikanischen Jugend in den 60er Jahren tatsächlich besser? Damals begleitete Larry Clark seine Freunde mit der Kamera und durfte sie selbst bei intimen Momenten ablichten, beim Kiffen und Küssen, beim Schlafen und beim Sex. Es sind ungeschönte Szenen der „Lost Generation“ vor dem Hintergrund des Vietnamkrieges, in den Clark selbst von 1964 bis 1966 ziehen und seine Kamera liegen lassen musste. Der dokumentarische Blick auf die voller Gewalt steckende Jugend- und Protestkultur wurde damals harsch kritisiert, aber Clark wurde dennoch einer der einflussreichsten Lichtbildner dieser Zeit. Seine Art von subjektiver Fotografie mit ungeschminkten, ehrlichen Aufnahmen machte Schule.
Am Schwarz-Weiß-Foto von Jeff Wall hingegen gehen viele achtlos vorbei. Der Kanadier hat 2004 ein Erdloch fotografiert, umgeben von Brettern, Erde und Sträuchern. Ein primitives Grab, ein unterirdischer Fluchtweg? Das Bild wirft viele Fragen auf, gibt aber keine klare Antwort. Doch Jeff Wall lehrt uns mit seinem inszenierten Foto das genaue Sehen, das Achten auf jedes Detail. Das ist viel wert in unserer Bilderflut-Gesellschaft.