Samstag,
06.01.2018 - 02:00
3 min
Falter und Fabelwesen: Ausstellungsreihe zum 80. Geburtstag der rheinhessischen Künstlerin Liesel Metten

Von Michael Jacobs
Lokalredakteur Mainz

Das „Balancier-Tier“ entstand 1995 in Zusammenhang mit der „Arche Noah“ am Winterhafen. Foto: Göttinger Verlag der Kunst ( Foto: Göttinger Verlag der Kunst)
MAINZ - Die bronzene „Arche Noah“ am Mainzer Rheinufer wimmelt vor Leben, hat sich selbst in einen lebendigen Organismus verwandelt. Aus dem Bug wächst der Kopf eines Einhorns wie eine verwunschene Gallionsfigur. Merkwürdige Widder- und Entenwesen ruhen an Deck in sich. Das Heck, aufgerollt in Rüsselspiralen, spreizt gravitätisch einen Entenflügel, während eine Schlange behende den Rumpf emporhuscht, als wolle sie die Einschiffung in eine phantastischere Welt, einen mit Fabelwesen bevölkerten Garten Eden nicht verpassen: Die Welt der Liesel Metten.
Faszinierender Kosmos des Kreatürlichen
Die Nieder-Olmer Künstlerin hat über Jahrzehnte mit überschäumender Fantasie aus Bronze, Gips, Kork, Styropor oder Papier einen eigenen, fazinierenden Kosmos des Kreatürlichen geschaffen, der sich, ausgehend von der Schmetterlingslarve in immer neue Formen der Fauna entpuppt. Zum 80. Geburtstag der rheinhessischen Bildhauerin würdigt eine mehrteilige Retrospektive an verschiedenen Orten das vielschichtige und umfangreiche künstlerische Ouevre. Die zentrale Schau in der Galerie des Mainzer Rathauses (2. Februar - 24. März) versammelt ihre (Tier)-Skulpturen: kauzige, elegante, verrätselte, symbolistische, archaische Fantasie und Mischwesen mit Korkenziehergeweihen, Stachelkronen, Drehbeinen und Ringelschwänzen. Im MVB-Forum am Neubrunnenplatz tummeln sich kugelrunde Mehrbeiner als Acrylbilder auf vier Leinwänden (26. Januar - 9. März). Erste Schauadresse der Malbriefe mit ihren aus Briefmarken herauswimmelnden Rüsseltieren und Einhörnern ist der Kunstverein Eisenturm (22. Februar - 25. März). Dem Wandlungsreichtum der Schmetterlinge, die eine Schlüsselstellung im Werk einnehmen, gibt der Essenheimer Kunstverein Entfaltungsraum (3. Februar - 18. Februar), während sich wunderbare Kork-Wesen im Kunstverein Ingelheim (6. -25. August) tummeln.
Einen illustrativ-informativen Einstieg in das märchenhafte Fabelwesenreich Liesel Mettens vermittelt jetzt ein von Wolfgang Bunzel und Jens Frederiksen herausgegebener Bildband, dessen Titel „Metamorphosen“ auf das künstlerische Verfahren der Natur-Neuschöpferin verweist. Liesel Mettens auf den ersten Blick naiv oder skurril-statuarisch anmutende Tierskulpturen finden nie eine Entsprechung in der Realität, sondern sind Kreaturen einer schöpferischen Fantasie, die die animalische Gestalt der teilweise surrealistisch verfremdeten Figuren auf das Wesentliche reduziert und so zu einer eingetümlichen und leicht wiedererkennbaren Formensprache findet, wie Bunzel in seinem Aufsatz über den „Paradiesgarten der Fantasie“ darlegt. So wirken die Ein- und Spitzhörner in ihrer archaischen Strenge wie ägyptische Statuen, während der auf Zehenspitzen federnde „Schwanzroller“ mit kecker Schnabelstellung in die Höhe schnellt. Die Sagengestalt der Loreley verwandelt sich in ein wellenartiges Mischwesen aus Mensch und Tier, dessen Haarschopf mit einer Fischflosse verschmilzt. Ihre vor dem Recey Platz in Nieder-Olm weidende Schafherde ist ein abstrakt-amorpher Block, aus dessen Rändern figurativ die Häupter von Wiederkäuern drängen, bewacht von einem Schäfer als gehörnte Mensch-Säule.
Dem Schmetterling gilt der zweite Teil des im Göttinger Verlag der Kunst erschienenen Entdecker-Buches. Nach einer Elegie auf das Verschwinden der Flatterwesen und einem launig-kundigen Exkurs über das Walten der Falter in der Literatur- und Kulturgeschichte – von Spitzweg über Nabokov und Leon de Winter bis hin zu Iron Butterfly – umkreist Jens Frederiksen, langjähriger Feuilletonchef dieser Zeitung und selbst passionierter Buntflügel-Hascher, einfühlsam und voller Bewunderung Liesel Mettens Lieblingsgeschöpfe als Metamorphosenwunder schlechthin. In immer neuen Formen habe sie seit den 70er Jahren eine wahre Phänomenologie der Falter geschaffen – die auch munter durch die Seiten flattern. Ganz rudimentär als aufrecht gestellte bronzene Flügelscheiben. Als wurmdicker Körper mit Sehwülsten, die an „Augenfalter“ gemahnen. Oder ätherisch blau schimmernde, filigrane Nachtfalter, deren zarte Fühler noch im Papier zu vibrieren scheinen. Aber auch die Vergänglichkeit der aus einem Raupen-Kokon wiedergeborenen Zauberwesen schimmert in einem zu graubraunem Staub zerfallenem Weißling auf. Schmetterlingsgeschichten, die Lust aufs Schauen machen.
RETROSPEKTIVE
MVB-Galerie (Malerei), Eröffnung 25. Januar, 18.30 Uhr, bis 9. März
Rathaus (Skulpturen), 1. Februar, 18.30 Uhr, bis 24. März
Essenheimer Kunstverein (Schmetterlinge), 2. Februar, 20 Uhr, bis 18. Februar
Kunstverein Eisenturm (Malbriefe), 23. Februar, 19 Uhr, bis 25. März
Kunstverein Ingelheim (Korkbilder), 5. August, 11.30 Uhr, bis 25. August
Rathaus (Skulpturen), 1. Februar, 18.30 Uhr, bis 24. März
Essenheimer Kunstverein (Schmetterlinge), 2. Februar, 20 Uhr, bis 18. Februar
Kunstverein Eisenturm (Malbriefe), 23. Februar, 19 Uhr, bis 25. März
Kunstverein Ingelheim (Korkbilder), 5. August, 11.30 Uhr, bis 25. August