WANN UND WO
Bis 8. April 2018 in den Rüsselsheimer Opelvillen, Ludwig-Dörfler-Allee 9, mittwochs bis sonntags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr. An den Weihnachtsfeiertagen, 25./26. Dezember, und an Neujahr, 1. Januar 2018, von 10 bis 18 Uhr zu sehen; an Heiligabend, 24. Dezember, und Silvester, 31. Dezember, geschlossen.
RÜSSELSHEIM - Wenn Ausstellungshäuser Präsentationen von Werken aus privaten Sammlungen zeigen, lernt der Besucher darin in der Regel einiges über die Vorlieben der Sammler in Bezug auf Künstler oder Kunstrichtungen. Wenn die Rüsselsheimer Opelvillen jetzt jedoch präsentieren, was Günter Frerich (1929–2013) über Jahrzehnte hinweg zusammengetragen und dann dem Leopold-Hoesch-Museum in Düren überlassen hat, könnte dies auch eine ganz „normale“ Themenschau und Lehrstunde im Sujet des Künstlerselbstporträts sein.
Denn der Kölner Zahnarzt Zengel hat streng thematisch gesammelt. Er besaß mehr als 400 Handzeichnungen, Grafiken und Fotografien, auf denen Maler sich selbst in Szene gesetzt haben. 115 dieser Papierarbeiten sind nun – chronologisch geordnet – zu sehen. Es sind Arbeiten durchgängig großer Namen vom deutschen Impressionismus bis zur Gegenwart, wobei Kuratorin Beate Kemfert in der Regel gleich mehrere Selbstporträts desselben Künstlers vorstellt. Ihre Ergänzung sind die Porträtfotografien derer, die sich da zeigen.
Reizvolle Selbstinszenierungen
Reales Sein und gewollter Schein: Neben der durchgängigen Exzellenz der Werke reizen in dieser Schau vor allem die sehr verschiedenen Selbstinszenierungen. Meist stehen die Porträts isoliert in der Mitte des Papiers, und gelacht wird nicht; Marc Chagalls Lithografie von 1960 ist in ihrer farbigen Freundlichkeit da eine Ausnahme. Diese Künstler nehmen sich – in ihren Schwarzgrau-Porträts – ernst in ihren Lebenssituationen. Und sie wollen vom Betrachter ernst genommen werden.
Dazu projizieren sie nicht nur Selbstreflexion ins eigene Gesicht, sondern auch versteckte Auseinandersetzungen mit der Welt. So stellt ein älterer, längst erfolgreicher Max Liebermann (1845–1935) seinen Kopf großbürgerlich-selbstbewusst aufs Blatt. Wie im Gegensatz dazu binden sich Alfred Kubin (1877–1959) und Max Beckmann (1884–1950) in surreale oder selbstironische Szenerien ein, und Emil Nolde (1867–1956) scheint 1908 vor sich selbst zu erschrecken. Ist das Künstlers Leid? Conrad Felixmüller (1897–1977) jedenfalls legt 1916 eine „Studie zum Bedrücktsein im Atelier“ vor.
Es lässt sich vermuten, dass mit Selbstporträts auch einiges psychisch verarbeitet wird. Max Slevogt (1868–1932) oder Lovis Corinth (1858–1925) schildern 1904/05 ihr Künstler-Dasein noch als angenehmes Leben, hingefläzt auf einem Sofa oder mit Rose für die Gattin in der Hand. Sie werden erst während des Ersten Weltkrieges zu den ernsten Männern im Spiegel. Eine Steigerung bietet hier noch Ludwig Meidner (1884–1966): Der historische Schrecken führt bei ihm 1918 zur fast animalischen Deformation der eigenen Physiognomie. Bleiben die Selbstporträts der Jahre nach Kriegsende 1945: Irgendwie hilflos stellt Emil Schumacher (1912–1999) sich 1946 dar, dramatisch dagegen sieht sich Bernhard Heisig (1925–2011), dessen Gesicht fast ins umgebende Schwarz zurücktritt.
Doch es gibt eben auch das Selbstbildnis als Provokation. Emil Orlik (1870–1932) setzt sich 1920 als „Der Anarchist“ ironisch auf ein Fass, das wohl Sprengstoff enthält. Und Thomas Bayrle (geboren 1937) blickt 1978 geradeaus in die eigene Kamera, um das Ganze dann „Im Herbst vor dem Winter“ zu nennen. Er leugnet damit die eigene „Identität“ genauso drastisch wie im Blatt „Ich in der Stadt“: Bei diesem Bildnis muss der Betrachter das Antlitz wie ein Suchbild aus einem Straßengewirr herausfiltern. Raimer Jochims (geboren 1935) treibt die Ich-Leugnung schließlich ins Extrem: Sein „Ich“ (so der Bildtitel) sind weiße Striche, die einen schwarzen Grund in Quadrate gliedern.
Wenn Beate Kemfert jedoch sagt: „Diese Ausstellung spiegelt Zeitgeschichte“, gilt das nicht nur solchen Verweigerungen, in denen moderne Zweifel an Selbstbestimmtheit aufscheinen. Sie fasst darunter auch, dass mit den Malerinnen Käthe Kollwitz (1867–1945), Marie Laurencin (1883–1956), Cäcilie Thiermann-Heise (1907–1986) und der Bildhauerin Emy Röder (1890–1971) gerade einmal vier Frauen vertreten sind. Das lag jedoch nicht am Käufer: „Mehr als das Gezeigte konnte der Markt Frerich in den Nachkriegsjahrzehnten nicht anbieten. Das wäre heute anders“, so Kemfert.