Die Frankfurter Schirn zeigt „Power to the People. Politische Kunst jetzt“
Von Annette Krämer-Alig
Zweideutige Fingerzeige: Osman Bozkurts „Marks of Democracy“ (Zeichen der Demokratie) zeigen Finger türkischer Wähler, die nach der Stimmabgabe mit Tinte markiert wurden, um Wahlbetrug zu verhindern. Ironisch, denn just diese Wahl machte 2002 Recep Tayyip Erdogan zum Präsidenten der Türkei. Foto: Schirn
( Foto: Schirn)
Jetzt teilen:
Jetzt teilen:
FRANKFURT - Kein Mensch steigt zwei Mal in denselben Fluss, und 1968 liegt fünfzig Jahre zurück. Drum wundert man sich nur kurz, dass Schirn-Direktor Philipp Demandt fast warnt vor der Schirn-Schau „Power to the People. Politische Kunst jetzt“. „Die Ausstellung berührt auch die Frage, wie politisch Kunst sein darf oder sein soll. Es ist eine Frage, die wir zu jeder Zeit immer wieder neu stellen müssen“, sagt er.
Offener Blick in die Wahlkabine
Aber: Diese 43 Künstler, meist geboren in den Siebziger- und Achtzigerjahren, haben’s drauf. Ihr hintersinniges, dazu selbstbefragendes Darstellen und Kommentieren trägt weiter als Parolen. Sie kommen aus Deutschland, England, Belgien und den USA, aber auch aus der Türkei oder Libyen und lassen sich die politische Sprache selbst da nicht verbieten, wo kein deutsches Grundgesetz die Freiheit der Kunst schützt. Hier stehen Installation, Fotografie, Zeichnung, Malerei und Film gegen populistische „Führer“, Autokratie, totalitäre Propaganda oder Fake News.
Guillaume Bijl beispielsweise geht es um das Recht auf freie Wahlen. Er zeigt ausgemusterte Wahlkabinen von Finnland bis China – und man erlebt nicht nur, wie oft der Blick in die Kreuzel-Stätten viel zu offen ist. Der elende Zustand dieses „Wahlkabinenmuseums“ von 2009 beschwört sogar die düstere Vision einer weltweit postdemokratischen Ära herauf.
TERMINE
Die Ausstellung ist bis 27. Mai in der Schirn-Kunsthalle am Frankfurter Römerberg zu sehen. Geöffnet ist jeweils dienstags bis sonntags von 10 bis 19 Uhr, mittwochs und donnerstags bis 22 Uhr.
Das Versagen öffentlicher Institutionen wird gerade in funktionierenden Demokratien gern beklagt. Doch gibt es die Schnarchnasen wirklich, die am Konferenztisch in Schlaf versinken, statt zu entscheiden? Adelita Husni-Bey hat sie in „The Sleepers“ 2012 gemalt, aber dabei diese Frage an uns Bürger zurückgegeben: Wir sind die Wähler. Oder? Bei Mark Floods „5000 Likes“ könnte kurzes Lachen schnell vergehen. Da liegt ein Riesenstapel Kleinleinwände, beschriftet mit dem Wort „Like“. Und wie in den sozialen Netzwerken sind die Besucher aufgefordert, diese „Likes“ – nun im Ausstellungssaal – zu verteilen. Doch die vermeintlichen Entscheider können weder auswählen, was sie wählen, noch wissen sie, wer ihre Entscheidung wozu nutzt. Ganz wie im wahren Leben, in dem man mit zehn solcher „Likes“ zum offenen Buch für Vermarkter wird.
Osman Bozkurts Fotografien tintenbefleckter Finger sind „Marks of Democrazy“ (Zeichen der Demokratie) und laut Untertitel Wählerporträts. Was eine ironische Wahrheit ist, da just diese Flecken 2002 in Bozkurts Heimat Türkei Wahlbetrug verhindern sollten, aber genau diese Wahl Recep Erdogan zum Präsidenten machte.
Elan zur Veränderung
Als Präsidenten-Bild an der Wand ist Erdogan auch in Halil Atinderes bitter-delikatem Video „Ballerinas And Police“ dabei, in dem Ballerinen auf Spitze tanzend sich zu Tschaikowskys „Schwanensee“-Musik einer schwer bewaffneten Polizeitruppe entgegenstellen – jedenfalls so lange, bis sie das Pathos des eigenen Auftritts (und vielleicht die bürgerliche Kultur als Ganzes?) gut in die Bewegungsabläufe einer Massenkontrolle integriert haben.
Im Ausstellungstitel steckt jedoch zugleich der Elan zur Veränderung. Protest als positive Lebensform vermittelt unter anderem Katie Holten mit ihren Tableaus „We The People“ (2017), auf denen sie Hunderte Fotografien von Demonstrationen zusammengebracht hat und damit Mut macht. Rirkrit Tiravanija schenkt den Besuchern zu ihrer Arbeit „Freedom Can Not Be Simulated“ (2016) gleich noch ein T-Shirt mit diesem Aufdruck. Wer es trägt, so ist sie sicher, wird eine Erinnerung hochhalten. Er wird an die Seiten der „South China Post“ vom 27. bis 30. September 2014 denken, die Tiravanija an die Schirn-Wand gebracht hat, damit diese Tage des Protests während der sogenannten Regenschirm-Revolution in Hongkong nicht vergessen werden.
Diese Ausstellung ist nie lustig. Denn es ist nicht amüsant, wenn die Gruppe Forensic Architecture darstellt, wie mit investigativen Methoden der Mord an einem Palästinenser belegt werden konnte, der im Westjordanland durch israelische Soldaten erschossen wurde – was zwar zu Ermittlungen führte, aber wegen „Mangels an Beweisen“ nicht vor Gericht kam. Lustig ist selbst Andrea Bowers’ großes hängendes Piratenschiff nicht, das hölzerne Relikt eines US-Umweltschützer-Protests: Hier wird klar, dass auch Baumpiraten-Aktionen bis auf Weiteres männlich dominiert sind. Lustig, nein. Sehenswert ist diese Schau jedoch an jedem Punkt.