Das Hessische Landesmuseum präsentiert französische Zeichenkunst aus der eigenen Sammlung
Von Roland Held
Delikatesse der zarten Kunst: In der Darmstädter Ausstellung sind unter anderem Blätter von Jacques Bellange, Antoine Denis Chaudet und Jean-Honoré Fragonard (von links) zu sehen. Fotos: Wolfgang Fuhrmannek / Hessisches Landesmuseum
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DARMSTADT - Wo habe ich das erst neulich gesehen? Es dauert eine Weile, bis der Groschen fällt. Bis dahin wächst im Betrachter der Respekt vor den acht Satyrn: Eine so lebhafte Mischung aus Neugierde, Staunen, Debattier- und Deutungslust hätte man den spitzohrigen Gesellen gar nicht zugetraut. Der Gegenstand ihres Interesses: die Verwandlung der in eine Tischplatte eingravierten, doch verzerrten Abbildung eines Elefanten, die in der spiegelnden Rundung eines Zylinders „richtiggestellt“ wird. Ja, klar! Einem ähnlichen Interesse an optischen Kunststücken ist man in der vor wenigen Tagen eröffneten William-Kentridge-Ausstellung im Frankfurter Liebieg-Haus begegnet. Mit dem Blatt „Satyrn betrachten die Anamorphose eines Elefanten“, um 1625 von Simon Vouet in tausenden Rötelstrichen heraufbeschworen, hortet das Hessische Landesmuseum die wohl erste Darstellung dieses Phänomens überhaupt.
Zweifellos auch einer der „Höhepunkte der französischen Zeichenkunst“ aus seiner Graphischen Sammlung, die unterm Motto „Eleganz und Poesie“ präsentiert wird: eine Auswahl von 75 aus rund 500 Blättern, datierend zwischen 16. und 18. Jahrhundert. Eine Kollektion, so hochkarätig, dass sie schon zwei Mal einen Gastauftritt im Pariser Louvre hatte. Großherzog Ludewig I. war, wie viele Monarchen seiner Epoche, kulturell frankophil. Doch hatte er das Glück, in Emmerich Joseph, Duc de Dalberg, einen Schuldner zu besitzen, der über die Jahre Altmeister-Graphik stapelweise erworben hatte. Schmerzenden Herzens musste der sich von seinen Schätzen trennen – zu Darmstadts Gewinn.
Der Gang durch die vier abgedunkelten Räume der Karl-Freund-Galerie folgt nicht nur der Chronologie, sondern auch den Veränderungen der technischen Mittel, der Stile, der Mentalitäten. Er beginnt mit mehreren Künstlern, die in der Nachfolge Michelangelos Muskulatur des nackten, Faltenwurf des bekleideten menschlichen Körpers in hoher Plastizität mittels Parallel- und Kreuzschraffur heraufbeschwören. Schon für die Zeichnungen der Mitte des 16. Jahrhunderts gab es in Frankreich einen Markt, egal, ob ein Blatt nun autonomen Rang hatte oder als Vorarbeit für Gemälde oder Radierung, Deckenfresko oder Tapisserie diente. Zwei Stadtprospekte des Lothringers Jacques Callot wiederum waren Entwürfe für Theaterdekorationen.
Delikatesse der zarten Kunst: In der Darmstädter Ausstellung sind unter anderem Blätter von Jacques Bellange, Antoine Denis Chaudet und Jean-Honoré Fragonard (von links) zu sehen. Fotos: Wolfgang Fuhrmannek / Hessisches Landesmuseum Foto:
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Claude Lorrain, Jacques Bellange, Charles Le Brun, Francois Boucher, Jean-Honoré Fragonard, Jean-Baptiste Greuze – die Liste der in Darmstadt vertretenen Zeichner, vom Manierismus bis zum Rokoko, liest sich wie ein Who’s Who der französischen Kunst. Das Mischungsverhältnis von Eleganz und Poesie mag da im Einzelfall wechseln. Beide Begriffe deckten sich laut den Ausstellungsmachern in der Person von Pierre Crozat (etwa 1663 – 1740), Bankier, Großsammler und exemplarisch dafür, wie das reiche Bürgertum dem Adel, der Salon dem Hof kulturell den Rang ablief. In seinem Pariser Stadtpalais traf sich regelmäßig ein Zirkel von Kennern und Künstlern. Deren Werke stiegen auf zum Katalysator der Bildung, des Geschmacks und der Humanität. Spätestens jetzt streifte die Zeichnung den Rest des Odiums ab, nur Mittel zum Zweck zu sein.
Im vierten Saal der Ausstellung demonstriert Landschaft, wie autonom-bildmäßig sie allein gegründet auf Stifte, Feder und Tuschen aufzutreten vermag. Die Rom-Hommage „Der Garten der Villa Mattei“ von Joseph Vernet, geschaffen 1737, weist in ihren Feinheiten voraus auf das, was ein Menschenleben später die Zeichner der Romantik leisten sollten.