Ausstellung: Britische Künstler Lucian Freud und Frank Auerbach im Frankfurter Städel
Von Christian Huther
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FRANKFURT - Die alte Dame sieht traurig aus, vielleicht ist sie sogar depressiv. Ihr Gesicht ist frontal und nahsichtig dargestellt, der Betrachter steht der Dame also fast distanzlos gegenüber. So bemerkt er rasch ihren leeren Blick und ihren zugekniffenen Mund. Ein Drama scheint sich abzuspielen, aber Lucian Freud, der Enkel des Psychoanalytikers Sigmund Freud, konnte nicht anders. Er rang immer um Wahrhaftigkeit, oft mit dem Ergebnis von sehr illusionslosen Bildern, wie das Porträt seiner Mutter von 1982 verrät. Bis zu ihrem Tod 1989 malte, zeichnete und radierte er sie in mehr als 1000 Sitzungen.
Lucian Freud, der 2011 im Alter von 88 Jahren gestorben ist, porträtierte nur Menschen, die er gut kannte. Nur die konnte er tiefgründig genug erfassen, meinte er. Ähnlich arbeitet der etwas jüngere, inzwischen auch 87-jährige Frank Auerbach. Beide wollen wahre Gesichter zeigen, nicht nur Ähnlichkeiten. Aber Freud und Auerbach verbindet noch mehr, flüchteten doch beide als Kinder aus Nazideutschland. Heute zählen sie zu den wichtigsten britischen Künstlern nach 1945, sind aber kaum in deutschen Museen zu finden. Lediglich das Frankfurter Städel besitzt dank einiger Ankäufe und zugesagter Schenkungen bald ein Dutzend Radierungen und Zeichnungen von beiden.
Kleine, aber feine Schau von 40 Blättern
Das nimmt nun das Haus zum Anlass, mit weiteren Leihgaben eine kleine, aber feine Schau von 40 Blättern zu zeigen. „Gesichter“ heißt sie lapidar, auch wenn von manchen Figuren mehr als nur der Kopf zu sehen ist. Oder ausgerechnet der fehlt, bewusst abgeschnitten, um das Bild zu ändern. Jetzt ist die weibliche Figur in Freuds Radierung nur von den Schultern abwärts zu sehen. Die liegende Frau hat eine Hand auf den Hund vor ihr gelegt, der wiederum den Kopf auf ihren rechten Fuß gelegt hat. So betont der Ausschnitt die innige Beziehung von Mensch und Tier. Der Tipp mit der radikalen Kürzung stammt von Auerbach, mit dem Freud lang befreundet war.
ÖFFNUNGSZEITEN
Zu sehen ist die Ausstellung bis 12. August. Die Öffnungszeiten: Di./Mi. und Sa./So. 10-18, Do./Fr. 10-21 Uhr. Der Katalog kostet 15 Euro. Weitere Infos unter www.staedelmuseum.de
Auerbach ist experimentierfreudiger als Freud, er verwendet statt der feinen Radiernadel einen Schraubenzieher, um klare Doppelstriche zu erhalten. Aber er deutet die Gesichtszüge oft nur an oder lässt die Linien ausfransen. Verbesserte Freud seine Porträts ständig, indem er neue Linien hinzufügte, zerstört Auerbach lieber das Bild und beginnt vor vorne, aber auf dem alten, ramponierten Papier. So drücken sich frühere Entwürfe ab, etwa beim Selbstporträt von 2017 ein zweites linkes Ohr.
Doch Auerbach sind die Modelle am Beginn einer Sitzung oft zu lebhaft. Aber „wenn sie müde und stoisch geworden sind, wird der eigentliche Kopf deutlicher, die Menschen werden mehr sie selbst.“ Seine Frau Julia porträtierte er schlafend, den Kopf von oben gesehen. Das Bild hat fast nur gezackte Striche, auch kleine Hügel und flache Partien, ähnlich wie eine Landschaft. Ein schonungsloses Porträt einer müden, alten Frau.
Schönheit spielt weder bei Freud noch bei Auerbach eine Rolle. Die beiden machen keine klassischen Porträts. Vielmehr wollen sie das Gegenüber erkennen, verstehen und aufs Blatt bannen, ohne Rücksicht auf Eitelkeiten. Freuds Faible für dicke und nackte Menschen ist gut bekannt, seine Fleischberge ähneln verblühenden Landschaften. Es sind keine erotischen, sondern gnadenlos ehrliche Bilder. Eine empfehlenswerte Schau, unbedingt hingehen!