Von Wolf H. GoldschmittMANNHEIM - Der blaue Brief der Stadtverwaltung hat viele kalt erwischt: Über 90 Prozent der Mannheimer Spielhallen stehen über kurz oder lang vor dem Aus. Der städtische Fachbereich Sicherheit und Ordnung hat jetzt 50 von 55 Betreibern von Daddelautomaten darüber informiert, dass sie wohl keine Zukunft mehr haben. Sobald ihre Betriebserlaubnis erloschen ist, heißt es: Nichts geht mehr.
Laut aktuellem Glückatlas gehören die Badener zu den glücklichsten Menschen in Deutschland. Ausgerechnet jene Mannheimer Unternehmer, die ihr Geld mit Göttin Fortuna verdienen, scheint das Glück aber verlassen zu haben. Sie gehören zu den bundesweit etwa 5000 Opfern des neuen Glücksspielgesetzes. Das trat bereits im Sommer in Kraft, wird aber erst jetzt nach einer Übergangszeit von den Kommunen umgesetzt. Der Grund hinter dieser zu erwarteten Schließungswelle: Die neuen Vorschriften legen fest, dass Spielhallen einen Mindestabstand von 500 Metern zueinander und zu öffentlichen Einrichtungen für Kinder und Jugendliche wie zum Beispiel Schulen oder Jugendtreffs einhalten müssen. Unterschreitet eine Spielhalle diesen Mindestabstand, darf ihre Lizenz nicht erneuert werden. Da sich viele betroffene Spielhallenbetreiber es sich nicht ohne weiteres leisten können, umzuziehen, machen sie entweder ihre Spielhöllen dicht oder wandern in die Illegalität ab.
Wird Suchtproblem nur verlagert?
Neun solcher Spielhallen besitzt der Mannheimer Unternehmer Wolfgang Götz. Er hält das neue Glücksspielgesetz nicht für zielführend, denn es sei kein wirksames Mittel, pathologische Spieler von ihrer Sucht abzuhalten. Der zwanghafte Versuch, das Glück zu erzwingen und nur vor einem Automaten zu finden, wird durch die Unfähigkeit eines Betroffenen gekennzeichnet, dem Impuls zum Zocken zu widerstehen. In den meisten Fällen zieht dieses Verhalten gravierende Folgen im persönlichen, familiären oder beruflichen Umfeld nach sich. Männer sind davon häufiger betroffen als Frauen. Besonders gefährdet sind vor allem junge Männer mit ausländischen Wurzeln, Langzeitarbeitslose und Menschen mit niedrigen Bildungsabschlüssen. In Deutschland schätzt man die Zahl der abhängigen Spieler auf mindestens 400 000.
Nach Meinung von Götz werde mit der Schließung fast aller Spielhallen in Mannheim das Problem der Spielsucht allerdings nur verlagert. Wer jetzt nicht mehr in den Hallen spielen könne, der gehe eben zum Zocken ins Internet. Auch der zu erwartende Verlust von Arbeitsplätzen der Servicekräfte in den Spielotheken gibt Götz zu denken. Eine letzte Hoffnung: die Spielautomatenindustrie prüft momentan, ob das neue Glücksspielgesetz mit dem EU-Recht vereinbar ist.
Ein Ziel des Glücksspielstaatsvertrages ist der Spielerschutz. Ob dieses Anliegen tatsächlich unterstützt wird, ist umstritten. Auch Wolfgang Götz kritisiert, dass die Regelung nicht zur Suchtbekämpfung beitrage, sondern ein Abdriften seiner Klientel in teilweise illegale Online-Angebote fördere. In Zeiten massenhafter Angebote im Internet und des blühenden illegalen Glücksspiels in Hinterzimmern sei diese Beschneidung des legalen Automatenspiels der falsche Weg. Die Suchtbeauftragten der Kommunen sind sich allerdings einig, dass das neue Gesetz der richtige Schritt ist.
Den Betreibern wird allerdings eingeräumt, einen Antrag auf Härtefall zu stellen. Offen bleibt, ob der Betrieb in Spielhallen, in denen gleich mehrere Konzessionen vorliegen, mit bis zu zwölf Geräten weitergeführt wird. Betroffen sind von den Änderungen aber auch Betreiber mit nur einer Konzession, wenn Spielautomaten eines anderen Inhabers im Umfeld von 100 Metern aufgestellt sind.
Kritik an unkonkreten Paragrafen
Dieser Mindestabstand muss künftig eingehalten werden. Jedoch sind auch hier Ausnahmen möglich. Beschlossen werden kann bei „besonderen örtlichen Verhältnissen“ ein Abstand von lediglich 50 Metern. Das Problem jedoch: Diese Einzelfälle müssen vom zuständigen Dezernat für Sicherheit und Ordnung entschieden werden. Und dessen Chef Bürgermeister Christian Specht sieht heute schon Interpretationsschwierigkeiten bei der Auslegung der neuen, recht unkonkreten Glücksspielparagrafen.
Noch mehr Nachrichten aus der Region lesen? Testen Sie kostenlos 9 Tage das Komplettpaket Print & Web plus!
Bitte loggen Sie sich ein, um einen Kommentar zu diesem Artikel zu verfassen. Debatten auf unseren Zeitungsportalen werden bewusst geführt. Kommentare, die Sie zur Veröffentlichung einstellen, werden daher unter ihrem Klarnamen (Vor- und Nachname) veröffentlicht. Bitte prüfen Sie daher, ob die von Ihnen bei ihrer Registrierung angegebenen Personalien zutreffend sind.
Die Zeichenzahl ist auf 1700 begrenzt. Die Redaktion behält sich vor, den Kommentar zu sichten und zu entscheiden, ob er freigeschaltet wird. Kommentare mit rechts- oder sittenwidrigen Inhalten, insbesondere Beleidigungen, nicht nachprüfbare Behauptungen, erkennbare Unwahrheiten und rassistische Andeutungen führen dazu, dass der Kommentar im Falle der Sichtung nicht freigeschaltet, ansonsten sofort gelöscht wird. Wir weisen darauf hin, dass alle Kommentare nach einigen Wochen automatisch wieder gelöscht werden.
Die Kommentare sind Meinungen der Verfasser.